Rut 1: Unterschied zwischen den Versionen

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* Vv. 7a-c: Und ''verließ'' den '''Ort, wo sie gewesen war''', ''und ihre beiden Schwiegertöchter [waren] bei ihr''.
 
* Vv. 7a-c: Und ''verließ'' den '''Ort, wo sie gewesen war''', ''und ihre beiden Schwiegertöchter [waren] bei ihr''.
 
* V. 7d: Und ''sie gingen'' auf dem Weg, um zurückzukehren '''in das Land Juda'''.
 
* V. 7d: Und ''sie gingen'' auf dem Weg, um zurückzukehren '''in das Land Juda'''.
Die Unterschiede sind: (1) In jedem dieser Sätze findet sich je eine andere Ortsbezeichnung ((a) ''Moab'', (b) auffällig: ''der Ort, wo sie gewesen war'', (c) ''Juda'') und (2) je ein anderes Verb der Bewegung ((a) ''beginnen, zurückzukehren'', (b) ''verlassen'', (c) ''des Weges ziehen''); (3) in jedem der drei Sätze werden die drei Subjekte unterschiedlich ausgedrückt ((a) gespaltene Koordination (s. [http://www.offene-bibel.de/wiki/index.php5?title=Rut_1#note_r FN r]): Noomi wird als das primär handelnde Subjekt vorgestellt, die Schwiegertöchter erscheinen als Anhang. (b) Sg.-Verb + ''und ihre beiden Schwiegertöchter [waren] bei ihr''. (c) Pl.-Verb).<br />Meines Wissens ist in der Rut-Exegese keiner dieser drei Aspekte bisher wirklich kommentiert worden; im Verein mit der auffälligen „Trippelung“ der Aussage sind sie aber doch durchaus erklärungsbedürftig. Vielleicht kann man es so versuchen: Aspekt (2) teilt deutlich die erste Etappe des Weges von Moab nach Juda in widerum drei Etappen: (1) Aufbruch, (2) Verlassen des Orts, (3) die Reise selbst. Dem entspricht der Übergang der Ortsbezeichnung: ''Moab'' „verblasst“, ''Juda'' wird „eingeblendet“. Und mit dieser Progression des Rückwegs geht eine Steigerung der Nähe der drei Subjekte einher. Vielleicht kommt also hier auf sprachlicher Ebene zum Ausdruck, wie die drei Frauen unterwegs immer mehr zusammenwachsen? Und vielleicht ist dies dann der Hintergrund für Noomis Rechtsbruch in V. 8 und die unerwartete Reaktion ihrer Schwiegertöchter in Vv. 9-17?</ref>
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Die Unterschiede sind: (1) In jedem dieser Sätze findet sich je eine andere Ortsbezeichnung ((a) ''Moab'', (b) auffällig: ''der Ort, wo sie gewesen war'', (c) ''Juda'') und (2) je ein anderes Verb der Bewegung ((a) ''beginnen, zurückzukehren'', (b) ''verlassen'', (c) ''des Weges ziehen''); (3) in jedem der drei Sätze werden die drei Subjekte unterschiedlich ausgedrückt ((a) gespaltene Koordination (s. [http://www.offene-bibel.de/wiki/index.php5?title=Rut_1#note_r FN r]): Noomi wird als das primär handelnde Subjekt vorgestellt, die Schwiegertöchter erscheinen als Anhang. (b) Sg.-Verb + ''und ihre beiden Schwiegertöchter [waren] bei ihr''. (c) Pl.-Verb).<br />Meines Wissens ist in der Rut-Exegese keiner dieser drei Aspekte bisher wirklich kommentiert worden; im Verein mit der auffälligen „Trippelung“ der Aussage sind sie aber doch durchaus erklärungsbedürftig. Vielleicht kann man es so versuchen: Aspekt (2) teilt deutlich die erste Etappe des Weges von Moab nach Juda in widerum drei Etappen: (1) Aufbruch, (2) Verlassen des Orts, (3) die Reise selbst. Dem entspricht der Übergang der Ortsbezeichnung: ''Moab'' „verblasst“, ''Juda'' wird „eingeblendet“. Und mit dieser Progression des Rückwegs geht eine Steigerung der Nähe der drei Subjekte einher. Vielleicht kommt also hier auf sprachlicher Ebene zum Ausdruck, wie die drei Frauen unterwegs immer mehr zusammenwachsen? Und vielleicht ist dies dann der Hintergrund für Noomis Rechtsbruch in V. 8 und die unerwartete Reaktion ihrer Schwiegertöchter in Vv. 9-17? Und diesem Falle ließe sich dann auch erklären, warum Noomi ihre Schwiegertöchter in V. 8 erst unterwegs zurückschickt statt noch vor Beginn ihrer Reise.</ref>
  
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{{S|8}} Da sagte Noomi zu ihren beiden Schwiegertöchtern: Geht! Kehrt zurück<ref>''Geht!, kehrt zurück'' - Oder: „Los, kehrt zurück“ (''Geht'' gelesen als sog. „Vorbereitungs-Imperativ“; vgl. z.B. Jenni 2005, S. 242f.; ''ad loc.'' ähnlich Zakovitch 1999, S. 89). ''Geht! Kehrt zurück...'' bildet aber einen Chiasmus mit ''Kehrt zurück! Geht...'' in V. 12, die man nicht so deuten kann; daher sollte man besser auch hier nicht als Vorbereitungsimperativ deuten.</ref>, jede in das Haus ihrer<ref name="mn">'''tFN''': ''ihrer'' + ''euch'' (V. 8): Im Rutbuch findet sich mehrere Male das Phänomen, dass statt den weiblichen Plural-pronomina ''männliche'' Pronomina verwendet werden. Der Grund dafür ist stark umstritten. Vorgeschlagen wurde, dass es sich hier (1) um eine besonders alte hebräische Konstruktion (eine archaische Dual-Form; vgl. bes. Campbell 1975, S. 25.65; auch Lim 2011, S. 110f; Rendsburg 2013, S. 635; Sasson 1979, S. 23), (2) um eine Ausprägung eines regionalen Dialekts (ein „Betlehemismus“; vgl. Gow 1992, S. 195; Young 1997, S. 10f) oder (3) um gewöhnliche hebräische Genus-Inkongruenzen (vgl. Holmstedt 2010, S. 24 (der sie dann aber aus irgendeinem Grund doch als Archaismen oder gar Moabitismen erklären will; vgl. S. 47); offenbar auch schon Levi 1987) handle.<br />
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Weil dieses und ein weiteres Phänomen (s. ) sich überwiegend im Mund der beiden älteren und judäischen Figuren Noomi und Boaz findet, geht man zumeist außerdem davon aus, dass dies bewusst so gestaltet sei und Noomi, Boaz und die Judäer am Tor derart entweder als „altehrwürdige“ (-> Archaismen) oder als „echte“ (-> Dialektismen) Judäer dargestellt werden sollen.<br />
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Für die Übersetzung wäre das durchaus relevant, wenn es sich hier wirklich um eine bewusst eingebaute, sehr alte Form des Hebräischen oder um einen Dialekt handeln würde. Letztendlich wird sich das wohl nicht klären lassen, aber ich persönlich (S.W.) halte beides für unwahrscheinlich. Erstens findet sich dieses Phänomen doch nicht nur im Mund von Noomi, sondern auch im Mund des Erzählers (V. 19), zweitens lässt sich hier doch kein klares System erkennen, da auch Noomi an anderen Stellen, an denen diese Konstruktion zur Anwendung kommen könnte, die „korrekte“ Form verwendet (z.B. V. 9). Gegen Erklärung (1) spricht außerdem, dass sich auch das umgekehrte Phänomen findet: In Vv. 13 werden zwei Mal weibliche Pronomina für männliche Referenten verwendet. Besonders wegen dem ersten Gegenargument denke ich daher, dass man diees Phänomen besser als Ausprägung einer recht späten Form des Hebräischen erklären sollte: Die Verwechslung von ''-m'' und ''-n'' findet sich häufiger im späten Hebräisch und nimmt spätestens von der Zeit des zweiten Tempels an immer mehr zu (vgl. z.B. HDSS § 200.142; zu ''hemma'' in Rut 1,22 noch Schattner-Rieser 1994, S. 196f; ''ad loc.'' ähnlich Bar-Asher 2008; Bar-Asher 2009, S. 44). Wahrscheinlich sollte man die Konstruktion also eher als Ausprägung des späten Hebräisch erklären und weniger dem bewussten Gestaltungswillen als einem „Versehen“ des Autors zuschreiben. In diesem Falle wäre es für die Übersetzung irrelevant.</ref> Mutter<ref>''Haus ihrer Mutter'' - ungewöhnlicher Ausdruck; für gewöhnlich spricht man im Hebräischen vom „Haus des Vaters“. Man ist daher bereits davon ausgegangen, dass auch die Väter von Rut und Orpa bereits gestorben wären, dass die Formulierung Reflex einer matriarchalen Gesellschaftsstruktur in Moab wäre, dass Rut und Orpa aus zwei sehr wohlhabenden Familien stammten, in denen jede der Frauen ihres Vaters (im Alten Orient war Polygamie verbreitet) einen eigenen Haushalt gehabt habe oder dass vom „Haus der Mutter“ regelmäßig dann gesprochen werde, wenn persönliche Angelegenheiten wie etwa die nächste Heirat besprochen werden sollte (dies letzte erwägenswert z.B. Campbell 1975, S. 64; Hajek 1962, S. 28f.; Zakovitch 1999, S. 89). Besser aber so: Der Ausdruck „Haus des Vaters“ steht in der Bibel selten für das ''Gebäude'', sondern i.S.v. „Haushalt“ für die ''Familie'' des Vaters. Das ist wohl auch hier der Sinn; Noomi entbindet ihre Schwiegertöchter hier von ihren Verwandtschaftspflichten (s. nächste FN): „Kehrt zurück zu den Familien ''eurer Mütter'', statt als meine Schwiegertöchter mit mir - ''eurer Schwiegermutter'' - nach Juda zurückzukehren.“ (vgl. ähnlich Levine 1983, S. 98f, FN 7).</ref>! JHWH erweise euch<ref name="mn" /> Liebe<ref>''Liebe'' - Heb. ''chesed'', ein Schlüsselwort im Buch. </ref>, so wie ihr sie den Toten und mir erwiesen habt.<ref>Wahrscheinlich durfte Noomi ihre Schwiegertöchter rechtlich gesehen gar nicht zurückschicken. Im Alten Israel galt eine kinderlose Witwe auch nach dem Tod ihres Mannes noch als mit diesem verheiratet, unterlag deshalb der Pficht der sog. „Schwagerehe“ und musste deshalb mit einem Verwandten den Beischlaf vollziehen, um so ein Kind zu zeugen, das dann rechtlich als Nachkomme ihres verstorbenen Ehemanns galt (s. näher die Erläuterungen zu Kap. 4) - sie war nicht frei, zu gehen, wohin sie wollte oder zu heiraten, wen sie wollte (vgl. z.B. Belkin 1970, S. 280.283). Nach der Vorstellung des Rutbuchs konnte diese Rolle des Verwandten von Boaz übernommen werden - es existierte also ein solcher „Schwager“ - und nur dieser hätte Rut von ihrer Schwagerehenpflicht entbinden können (da der Vater und der Bruder des verstorbenen Machlons ebenfalls bereits gestorben waren; s. auch noch mal [http://www.offene-bibel.de/wiki/index.php5?title=Rut_1#note_u FN u]). So stellt es sich zumindest nach dem, was wir über das altisraelitische Familienrecht wissen, dar. Theoretisch wäre es möglich, dass im Falle des Todes aller nahen Verwandten auch die Schwiegermutter das Recht hatte, ihre Schwiegertochter von dieser Pflicht zu entbinden (ähnlich z.B. Thompson/Thompson 1968, S. 96); aber wenn es so war, wissen wir es zumindest nicht.<br />
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Aber selbst in dem Falle, dass Noomi tatsächlich das Recht gehabt hätte, ihre Schwiegertöchter von dieser ihrer Schwagerehenpflicht zu entbinden und ihnen zu gestatten, zur Familie ihrer Eltern zurückzukehren, wäre Noomis hieriges Handeln ganz außergewöhnlich. Witwenschaft (s. zu Näherem [http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/34925/ Witwe und Waise (Wibilex)] war im Alten Orient eine soziale Krisensituation: Witwen hatten im Alten Israel nur wenige Rechte (da die Rechtspflege in den Händen der Männer lag) und keinen Besitz (da wahrscheinlich Witwen erst ab der hellenistischen Zeit erben konnten). Noomi und den beiden Schwiegertöchtern stand in Juda also ein sehr schweres Geschick bevor. Der Vollzug der Schwagerehe durch eine der beiden Schwiegertöchter hätte Noomi idealiter vor diesem Schicksal bewahren können: Der Sohn, der aus dieser Verbindung hervorgehen würde, wäre dann wahrscheinlich im Haus des Schwagers großgezogen worden, und über diesen „Sohn“ Machlons oder Kiljons, der dann Noomis nächster Verwandter wäre, hätte vermutlich auch sie Eingang in den Haushalt ihres Schwagers gefunden und wäre so wirtschaftlich und rechtlich abgesichert - und darauf verzichtet Noomi mit ihrer hierigen Aufforderung.<br />
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Dass Noomi also hier ihre Schwiegertöchter auffordert, zu ihren Familien in Moab zurückzukehren, ist nicht nur nach israelitischem Recht der zweite Rechtsbruch im Rutbuch, sondern auch ein großes Opfer Noomis.</ref>
  
 
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Version vom 17. Januar 2015, 12:47 Uhr

Syntax ungeprüft

SF in Arbeit.png
Status: Studienfassung in Arbeit – Einige Verse des Kapitels sind bereits übersetzt. Wer die biblischen Ursprachen beherrscht, ist zum Einstellen weiterer Verse eingeladen. Auf der Diskussionsseite kann die Arbeit am Urtext dokumentiert werden. Dort ist auch Platz für Verbesserungsvorschläge und konstruktive Anmerkungen.
Folgt-später.png
Status: Lesefassung folgt später – Bevor eine Lesefassung erstellt werden kann, muss noch an der Studienfassung gearbeitet werden. Siehe Übersetzungskriterien und Qualitätssicherung Wir bitten um Geduld.

Lesefassung (Rut 1)

(kommt später)

Studienfassung (Rut 1)

1 Zur Zeit (in den Tagen) des Richtens der Richtera war (herrschte) eine Hungersnot im Landb (kam eine Hungersnot über das Land). Da verließc ein Mann Betlehem in Juda (machte sich ein aus Betlehem in Juda [stammender] Mann auf)d, um sich in {dem Gebiet von} (bei den Feldern von)e Moabf niederzulasseng - er, seine Frau und seine beiden Söhneh.
2 Der Name des Mannes [war] Elimelech (mein Gott ist König) und der Name seiner Frau [war] Noomi (lieblich) und die Namen seiner beiden Söhne [waren]i Machlon (krank?)j und Kiljon (schwindend?)j. [Sie waren] Efratiterk aus Betlehem in Juda. Und so kamen sie {in das Gebiet von} [nach] (zu den Feldern von) Moab und blieben dort.
3 Da starbl Elimelech, der Mann Noomis, und sie hinterblieb, sie und ihre beiden Söhneh.
4 Sie nahmen sich moabitische Frauen (Sie gingen Mischehen mit moabitischen Frauen ein?)m. Der Name der einen [war] Orpa (Nacken?, Wolke?)j und der Name der anderen [war] Rut (Freundin?, Sättigung?)j.n Sie wohnten etwa zehn Jahre dort.
5 Da starbenl auch diese beiden - Machlon und Kiljon -, und sie hinterblieb: die Frau, ohne ihre beiden Kindero und ohne ihren Mannh.


6 Und sie begann, zurückzukehrenp - sie und ihre Schwiegertöchterq - aus {dem Gebiet von} (von den Feldern von)e Moab, weil sie in {dem Gebiet von} (bei den Feldern von)e Moab gehört hatter, dass JHWH sein Volk besucht hattes, indem er ihm Brott gegeben hatte. 7 Und sie verließ den Ort, wo sie gewesen war, und ihre beiden Schwiegertöchter [waren] bei ihr (standen unter ihrer Aufsicht?u).
Und sie gingen auf dem Weg (zogen des Weges), um in das Land Juda zurückzukehren.v

8 Da sagte Noomi zu ihren beiden Schwiegertöchtern: Geht! Kehrt zurückw, jede in das Haus ihrerx Muttery! JHWH erweise euchx Liebez, so wie ihr sie den Toten und mir erwiesen habt.aa

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Anmerkungen

ades Richtens der Richter - Die Begriffe „Richter“ und „Richten“ dürften in der LF missverständlich sein, da es sich bei den biblischen Richtern natürlich nicht um Richter im heutigen Sinn des dt. Wortes handelte, sondern um eine Art Stammesführer. Sinnvoll daher Holmstedt 2010: „Als noch die Häuptlinge regierten,...“; eleganter sicher die Paraphrase von de Waard/Nida 1992, S. 5 und T4T: „Als Israel noch keine Könige hatte...“. (Zurück zu v.1)
bim Land - d.h. in Israel. Übersetze daher vielleicht besser: „...herrschte ein Hungersnot in Israel“ (de Waard/Nida 1992, S. 6). (Zurück zu v.1)
cZur Zeit des Richtens ... herrschte ... . Da verließ - Oder: Zur Zeit des Richtens der Richter, als eine Hungersnot im Land herrschte, verließ... (vgl. syntaktisch ähnlich Ex 12,41; dazu z.B. Nic §30).
tFN: W.: „Und es war in den Tagen des Richtens der Richter. Und es war eine Hungersnot im Land. Und es verließ...“ - Sowohl die Zeitangabe „in den Tagen des Richtens der Richter“ als auch die Information über die Hungersnot wird eingeleitet durch das Verb wajähi („und es war“). Eine solche Doppelung von wajähi findet sich zwar sehr selten in der Bibel, ist aber unproblematisch: Das erste wajähi ist zusammen mit bime („in den Tagen von“) eine stehende Wendung für die Einführung einer neuen Erzählzeit, entsprechend einfach dem dt. „zur Zeit von...“ (vgl. z.B. Holmstedt 2010, S. 52). Und das zweite wajähi ist entweder ebenso aufzufassen (und dann nach der Auflösung in der FN zu deuten) oder ist ein Kopulaverb im Hauptsatz „[Zur Zeit des Richtens der Richter] war (=herrschte) eine Hungersnot im Land.“ (vgl. z.B. Harmelink 2011, S. 212; so die meisten Üss.) und dann aufzulösen wie in der Primärübersetzung. (Zurück zu v.1)
dverließ ein Mann Betlehem in Juda (machte sich ein aus Betlehem in Juda [stammender] Mann auf) - Beide Auflösungen sind gleichermaßen möglich. Nach der primären Auflösung würde die Reise näher beschrieben („Ein Mann ging fort, und zwar ging er fort aus Betlehem in Juda“); nach der alternativen Auflösung der Mann („ein Mann ging fort, und zwar ein aus Betlehem in Juda stammender Mann“). Da die Information, die die Alternativauflösung bieten würde, aber ja in V. 2 geliefert wird, sollte man besser nach der primären Auflösung deuten. (Zurück zu v.1)
ein {dem Gebiet von} (bei den Feldern von) (Vv. 1.6) + aus {dem Gebiet von} (von den Feldern von) (V. 6) - Heb. ßadeh (Gebiet, Feld). Mit diesem Wort wird hier - wie oft - nur angezeigt, dass es sich beim folgenden Ortsnamen um einen Ortsnamen handelt („im Gebiet Moab“, d.h. „in Moab“) und sollte dann besser unübersetzt bleiben.
Fischer 2001, S. 124 dagegen deutet den Begriff als sprechenden Begriff: Elimelech und seine Familie verlassen Betlehem ob einer Hungersnot und emigrieren daher zu den [Getreide-]Feldern Moabs. Diese Deutung basiert allerdings auf einer Analyse von ßäde als Plural. Das Wort lässt sich im MT aber auch als Sg. analysieren, und weil einige Mss. - darunter auch ein Ms. aus Qumran, das älter ist als der MT - das Wort in einer Wortform bieten, die unmissverständlich Sg. ist und weil weiterhin auch die Versionen ganz einheitlich mit Sg. übersetzen, ist auch im MT die Analyse des Wortes als Sg. deutlich vorzuziehen. (Zurück zu v.1 / zu v.6)
fMoab - östlicher Nachbarstaat Israels (für näheres s. Moab / Moabiter (wibilex)). Wegen verschiedener kriegerischer Konflikte ist Moab im AT meist negativ belegt; auch im Richterbuch (s. Ri 3,12-30). Dass Elimelech und seine Familie dennoch bereit sind, gerade nach Moab überzusiedeln, zeigt, wie schwer die Hungersnot war. Dabei ist Moab nicht einmal eine naheliegende Wahl: Im Gegensatz zum klassischen Emigrationsland Ägypten unterliegt Moab in etwa den selben klimatischen Bedingungen wie Israel, und obwohl es wegen der gebirgigen Lage Moabs theoretisch möglich ist, dass wegen der dortigen höheren Niederschlagsmenge Israel unter einer kurzen Hungersnot leidet, Moab aber nicht, ist es ganz unmöglich, dass Moab nicht von den klimatischen Verhältnissen betroffen wäre, die in Israel eine Hungersnot von zehn Jahren verursachen. (Zurück zu v.1)
gniederzulassen - Heb. gur bedeutet nicht einfach „wohnen“, sondern bezeichnet das dauerhafte Siedeln von zugereisten Ausländern. Elimelech will also wohl nicht nur für die Dauer der Hungersnot in Moab ausharren, sondern tatsächlich von Israel nach Moab emigrieren.
Ein ger (etwa: „Zugereister“) hat in der Bibel häufig einen schweren Schicksalsschlag hinter sich (wegen dem er überhaupt erst ausgereist ist), ist in der Regel arm und hat rechtlich nicht den selben Status wie ein Einheimischer (so z.B. auch Würthwein 1969, S. 10). Elimelech und seine Familie werden also schon durch die Verwendung dieses Wortes in eine sozial sehr tief stehende Schicht eingeordnet. (Zurück zu v.1)
hein Mann ... - er, seine Frau und seine beiden Söhne (V. 1) + sie hinterblieb, sie und ihre beiden Söhne (V. 3) + sie hinterblieb, die Frau, ohne ihre beiden Kinder und ohne ihren Mann - Wenn im Hebräischen eine Sache von mehreren Subjekten ausgesagt werden soll, kann sie auch nur von einem Subjekt ausgesagt werden, das dann nach dieser Aussage mit einem (Pro-)Nomen noch einmal aufgegriffen und um die weiteren Subjekte erweitert wird („gespaltene Koordination“; vgl. z.B. JM §146c2; ad loc. Holmstedt 2010, S. 57f). Normalerweise sollte man im Dt. daher Vv. 1.3 besser übersetzen: „ein Mann, seine Frau und seine beiden Söhne verließen...“ (V. 1) resp. „sie und ihre beiden Söhne hinterblieben“ (V. 3). Hier aber ist diese Konstruktion bewusst gewählt; der Abschnitt funktioniert ein wenig wie das Kinderlied „Zehn kleine Negerlein“ und bringt schon auf sprachlicher Ebene zum Ausdruck, wie nach und nach die Familie zusammenschmilzt (so gut Zenger 1986, S.d 32), bis sämtliche männliche Angehörige ausgetilgt sind - die größte vorstellbare Katastrophe für eine altisraelitische Familie:
  • V. 1: „er, seine Frau und seine beiden Söhne“
  • V. 3: „sie und ihre beiden Söhne“
  • V. 5: „die Frau, ohne ihre beiden Kinder und ohne ihren Mann“ (Zurück zu v.1 / zu v.3 / zu v.5)
itFN: die Namen seiner beiden Söhne [waren] - W. „der Name seiner beiden Söhne [war]“, aber s. JM §136l: „[... Das Hebräische hat] die Tendenz, in Fällen, in denen etwas in ähnlicher Weise für mehrere Individuen gilt, Singular statt Plural zu setzen [...].“ Übersetze daher wie angegeben. (Zurück zu v.2)
jMachlon (krank?) + Kiljon (schwindend?) (V. 2) + Orpa (Nacken?, Wolke?) + Rut (Sättigung?, Freundin?) (V. 4) - Namen sind in der Bibel oft sog. „descriptive names“, d.h. sie sind sprechende Namen, die eine Bedeutung in der Erzählung haben. Weil Noomi in V. 21 selbst mit ihrem Namen spielt (der also klar ein solcher „descriptive name“ ist) und auch der Name von „Herr Irgendwer“ in Kap. 4 klar ein sprechender Name ist, gehen viele davon aus, dass auch obige vier Namen solche descriptive names sein müssten. Ihre Bedeutungen sind aber unklar:
  • Die Deutung von Machlon und Kiljon als „krank“ und „schwindend“ wäre sprachlich möglich und würde im Rahmen des Rutbuches auch Sinn machen, da sie ja tatsächlich innerhalb von nur vier Versen wieder aus der Geschichte wegsterben. Allerdings gab es diese Namen recht sicher tatsächlich, so dass schwer vorstellbar ist, dass dies wirklich die hinter diesen Namen stehende Bedeutung war (wenn man den namensgebenden Eltern nicht stets einen „grausamen Humor“ (Holmstedt 2010, S. 60) zusprechen will). Rudolph 1962, S. 38 etwa verbindet daher die Namen stattdessen mit „süß/reizend sein“ (Machlon = „der Süße/Reizende“) oder „listig sein“ (Machlon = „der Listige“) und „vollendet sein“ (Kiljon = „der Vollendete“). Wahrschenlich sollte man sich besser mit dem Eingeständnis bescheiden, dass nicht gewiss ist, was die Namen bedeuten (so z.B. Campbell 1975, S. 52f).
  • Orpa wurde schon von den alten jüdischen Exegeten mit orep („Rücken, Nacken“) in Zusammenhang gebracht und dann so erklärt, dass sie so als die „Widerspenstige“ oder „die den Rücken Kehrende“ dargestellt werden solle,was aber recht „gekünstelt“ (Gerleman 1965) ist. Glanzmann 1959, S. 206 und Dahood 1962, S. 224 leiten außerdem ab vom Ugaritischen `rpt („Wolke“), was sprachlich wohl möglich wäre, erstens aber keine Anerkennung in der Exegese gefunden hat und zweitens in diesem Falle kein descriptive name wäre, so dass es irrelevant für die Übersetzung wäre.
  • Rut wurde früher meist abgeleitet von rä`ut („Freundin, Gefährtin“ - so schon Syr), was aber etymologisch nur schwer möglich ist. Seit Bruppacher 1966 wird er außerdem wieder häufiger nach der Wurzel rwy (sich sattdrinken) als „Sättigung“, „Erfrischung“ gedeutet (so schon b. Berachoth 7b; Bertholet 1898, S. 57f), was sprachlich zwar möglich wäre, aber in der Exegese dennoch keine allgemeine Anerkennung gefunden hat.
Einige gehen außerdem wegen dieser Ungewissheiten davon aus, dass wir es hier mit echt moabitischen Namen zu tun haben, deren Bedeutung sich von uns daher nicht mehr erschließen lässt. (zu v.2 / zu v.4)
kEfratiter - Bedeutung unklar; vermutlich handelt es sich (1) entweder um eine Sippe, die v.a. in der Gegend in und um Betlehem siedelte, oder (2) Efrata ist eine Region, in der u.a. auch Betlehem lag, oder (3) eine alternative Bezeichnung für Betlehem selbst.
Dass die Bedeutung unklar ist, ist aber nicht sehr problematisch, da der Begriff hier ohnehin mehr einem Wortspiel als der Information dient: Sowohl „Efratiter“ als auch „Betlehem“ sind sprechende Namen: „Efrata“ ist das „fruchtbare Land“ (Meister 1991, S 115) und „Betlehem“ bedeutet bekanntlich „Haus des Brotes“, „Brothausen“ (schon Luther 1535, S. 193b: „Denn Bethlehem heisst ein brod haus / und Ephrata fruchtbar / das ein fruchtbar land und gute narung darinnen gewesen ist.“). In den Ohren hebräischer Hörer musste der Satz also klingen wie „[Wegen einer Hungersnot] emigrierten sie nach Moab - obwohl sie Brothäusener aus der Fruchtgegend waren! - und blieben dort.“ (Zurück zu v.2)
lstarb (V. 3) + starben (V. 5) - In der alten jüd. Exegese ist öfter der Tod Elimelechs, Machlons und Kiljons als die Strafe Gottes für ihre Sünden gedeutet worden: Elimelech wird für seine Emigration bestraft, Machlon und Kiljon für ihr Fernbleiben von Israel und ihre Mischehen. In der neueren Exegese findet sich diese Deutung nur noch selten (z.B. bei Berman 2007, S. 27-29), aber es ist doch auffällig, dass die beiden Auskünfte über das Sterben der Familienmitglieder jeweils direkt auf die Auskunft über das „Bleiben“ in Moab folgt und dass nur die ersten fünf Verse, die in Moab spielen, eine Unheilsgeschichte schildern, dagegen von V. 6 an mit Noomis Entscheidung, nach Israel zurückzukehren, eine Heilsgeschichte erzählt wird. Auf jeden Fall sollte, wenn möglich, so übersetzt werden, dass diese Bedeutungsnuance auch in der Übersetzung mitgehört werden kann - ein Leser zur mutmaßlichen Abfassungszeit jedenfalls hätte sie vermutlich mindestens mitgehört. (Zurück zu v.3 / zu v.5)
mnahmen (gingen Mischehen ein) - ungewöhnlicher Begriff im Heb.: „Heiraten“ heißt dort gewöhnlich laqach ischah; hier aber - wie nur noch 2Chr 11,21; 13,21; Esr 9,2.12; Neh 13,25 - naßah ischah. Fischer 2001, S. 127 macht darauf aufmerksam, dass die drei letzten Stellen ebenfalls von Mischehen von Judäern mit Moabiterinnen handeln; es könnte sich hier also um einen terminus technicus handeln. An diesen drei Stellen werden die Mischehen auch jeweils als Missetat dargestellt, da Mischehen gerade mit Moabiterinnen nach Dtn 23,4 verboten war - unabhängig von der Vokabel haben wir es hier also dem ersten von vielen Rechtsbrüchen und -beugungen im Rutbuch zu tun. TgRut z.B. paraphrasiert deshalb auch hier: „Sie übertraten das Gebot des Herrn und nahmen sich ausländische Frauen von den Töchtern Moabs“. (Zurück zu v.4)
nOrpa und Rut - Chiasmus: V. 2: „Machlon und Kiljon“, V. 4: „Orpa und Rut“; dabei ist Orpa die Frau von Kiljon und Rut die von Machlon (s. Rut 4,10). Eine solche chiastische Anordnung von Namen ist ein häufigeres Stilmittel im Hebräischen (vgl. Campbell 1975, S. 151) und kann in der dt. Üs. ohne Bedeutungsverlust übergangen werden. (Zurück zu v.4)
oKinder - Machlon und Kiljon werden hier - im Gegensatz zum vorherigen „Söhne“ - mit jeled („Kind“) bezeichnet, das sonst nie für Erwachsene verwendet wird. Vermutlich soll diese Wortwahl das Unglück der Frau unterstreichen, die nun nach ihrem Mann auch noch ihre beiden Kinder zu Grabe tragen muss (so auch Zakovitch 1999, S. 82). Zudem wird so bereits vorverweisen auf Rut 4,16, wo Ruts „Kind“ Obed als Naomis Ersatz für ihre beiden gestorbenen „Kinder“ dargestellt wird. (Zurück zu v.5)
ptFN: begann, zurückzukehren - W. „Da stand sie auf, sie und ihre Schwiegertöchter, um zurückzukehren...“; ein solches vorgeschaltetes „aufstehen“ hat aber häufig nur die Bedeutung „mit etwas beginnen“ (vgl. de Waard/Nida 1992, S. 9; Dobbs-Allsopp 1995, S. 47). Übersetze besser: „Und sie machte sich auf den Rückweg“. (Zurück zu v.6)
qsie und ihre Schwiegertöchter - die selbe Konstruktion wie in FN h beschrieben; normalerweise würde man auch hier übersetzen: „Da machten sie und ihre Schwiegertöchter sich auf den Rückweg“. In unserem Falle spielt es aber zusammen mit den obigen Versen: Nach Noomis Verlust von Ehemann und Söhnen eröffnet der zweite Erzählabschnitt von Kap. 1 mit der neuen Personenkonstellation Noomi + Rut und Orpa; beinahe wie ein „Neue Runde, neues Glück!“: Ihre ersten drei Begleiter hat Noomi verloren - was wird mit den beiden neuen Begleiterinnen geschehen? (Zurück zu v.6)
rtFN: gehört hatte - Nach sog. „gespaltenen Koordinationen“ wie sie - sie und ihre Schwiegertöchter wird im Heb. meist mit Pluralverben angeschlossen (hier also: „sie hatten gehört“); hier aber steht ein Sg.-verb. Diese Konstruktion mit Sg. findet sich noch häufiger (vgl. z.B. Revell 1993, S. 76f.) und soll das Singularsubjekt (hier also Noomi) statt beiden koordinierten Subjekten ins Zentrum der Leseraufmerksamkeit stellen: Handelnde ist hier zuvorderst Noomi; erst ab V. 8 treten auch die beiden Schwiegertöchter als handelnde Subjekte in Aktion (ähnlich Campbell 1975, S. 63). (Zurück zu v.6)
sbesucht - Heb. Idiom für „sich um etwas kümmern“ (so z.B. Loretz 1963, S. 44). Gut daher EEB, EVD, GN, T4T: „dass er seinem Volk geholfen hatte“; HfA: „dass er sich über sein Volk erbarmt hatte“; NL: „dass er sich seinem Volk wieder gnädig zugewandt hatte“. „Sein Volk“ = Israel; übersetze daher vielleicht: „dass er seinem Volk Israel geholfen hatte und...“ (Zurück zu v.6)
tihm Brot - Klangspiel: lahem lachem. „Brot“ steht im Heb. fast stets pars pro toto für Nahrung im Allgemeinen (vgl. z.B. de Waard/Nida 1992, S. 9; Zakovitch 1999, S. 83); übersetze daher besser „Nahrung“. (Zurück zu v.6)
ustanden unter ihrer Aufsicht - so kürzlich Schipper 2013. Doch das ist wahrscheinlich falsch; Schwiegertöchter waren im hebräischen Haushalt zwar hierarchisch ihren Schwiegermüttern untergeordnet, doch hatten diese keine Autorität über sie (um mit Exum 1997 zu sprechen: Ganz allgemein hatten Frauen im Alten Israel zwar - im familiären Rahmen des Haushalts - „Macht“, aber keine „Autorität“ (vgl. S. 136f)).
Vielleicht auch: wo sie gewesen war, und [wo auch] ihre beiden Schwiegertöchter bei ihr [gewesen waren]. (Zurück zu v.7)
vAnm. d. Üs. (S.W.): Die Formulierung der Vv. 6f ist interessant: Drei Sätze folgen aufeinander, die mehr oder weniger das selbe besagen:
  • Vv. 6a-b: Und sie begann, zurückzukehren - sie und ihre Schwiegertöchter - aus Moab.
  • Vv. 7a-c: Und verließ den Ort, wo sie gewesen war, und ihre beiden Schwiegertöchter [waren] bei ihr.
  • V. 7d: Und sie gingen auf dem Weg, um zurückzukehren in das Land Juda.
Die Unterschiede sind: (1) In jedem dieser Sätze findet sich je eine andere Ortsbezeichnung ((a) Moab, (b) auffällig: der Ort, wo sie gewesen war, (c) Juda) und (2) je ein anderes Verb der Bewegung ((a) beginnen, zurückzukehren, (b) verlassen, (c) des Weges ziehen); (3) in jedem der drei Sätze werden die drei Subjekte unterschiedlich ausgedrückt ((a) gespaltene Koordination (s. FN r): Noomi wird als das primär handelnde Subjekt vorgestellt, die Schwiegertöchter erscheinen als Anhang. (b) Sg.-Verb + und ihre beiden Schwiegertöchter [waren] bei ihr. (c) Pl.-Verb).
Meines Wissens ist in der Rut-Exegese keiner dieser drei Aspekte bisher wirklich kommentiert worden; im Verein mit der auffälligen „Trippelung“ der Aussage sind sie aber doch durchaus erklärungsbedürftig. Vielleicht kann man es so versuchen: Aspekt (2) teilt deutlich die erste Etappe des Weges von Moab nach Juda in widerum drei Etappen: (1) Aufbruch, (2) Verlassen des Orts, (3) die Reise selbst. Dem entspricht der Übergang der Ortsbezeichnung: Moab „verblasst“, Juda wird „eingeblendet“. Und mit dieser Progression des Rückwegs geht eine Steigerung der Nähe der drei Subjekte einher. Vielleicht kommt also hier auf sprachlicher Ebene zum Ausdruck, wie die drei Frauen unterwegs immer mehr zusammenwachsen? Und vielleicht ist dies dann der Hintergrund für Noomis Rechtsbruch in V. 8 und die unerwartete Reaktion ihrer Schwiegertöchter in Vv. 9-17? Und diesem Falle ließe sich dann auch erklären, warum Noomi ihre Schwiegertöchter in V. 8 erst unterwegs zurückschickt statt noch vor Beginn ihrer Reise. (Zurück zu v.7)
wGeht!, kehrt zurück - Oder: „Los, kehrt zurück“ (Geht gelesen als sog. „Vorbereitungs-Imperativ“; vgl. z.B. Jenni 2005, S. 242f.; ad loc. ähnlich Zakovitch 1999, S. 89). Geht! Kehrt zurück... bildet aber einen Chiasmus mit Kehrt zurück! Geht... in V. 12, die man nicht so deuten kann; daher sollte man besser auch hier nicht als Vorbereitungsimperativ deuten. (Zurück zu v.8)
xtFN: ihrer + euch (V. 8): Im Rutbuch findet sich mehrere Male das Phänomen, dass statt den weiblichen Plural-pronomina männliche Pronomina verwendet werden. Der Grund dafür ist stark umstritten. Vorgeschlagen wurde, dass es sich hier (1) um eine besonders alte hebräische Konstruktion (eine archaische Dual-Form; vgl. bes. Campbell 1975, S. 25.65; auch Lim 2011, S. 110f; Rendsburg 2013, S. 635; Sasson 1979, S. 23), (2) um eine Ausprägung eines regionalen Dialekts (ein „Betlehemismus“; vgl. Gow 1992, S. 195; Young 1997, S. 10f) oder (3) um gewöhnliche hebräische Genus-Inkongruenzen (vgl. Holmstedt 2010, S. 24 (der sie dann aber aus irgendeinem Grund doch als Archaismen oder gar Moabitismen erklären will; vgl. S. 47); offenbar auch schon Levi 1987) handle.

Weil dieses und ein weiteres Phänomen (s. ) sich überwiegend im Mund der beiden älteren und judäischen Figuren Noomi und Boaz findet, geht man zumeist außerdem davon aus, dass dies bewusst so gestaltet sei und Noomi, Boaz und die Judäer am Tor derart entweder als „altehrwürdige“ (-> Archaismen) oder als „echte“ (-> Dialektismen) Judäer dargestellt werden sollen.

Für die Übersetzung wäre das durchaus relevant, wenn es sich hier wirklich um eine bewusst eingebaute, sehr alte Form des Hebräischen oder um einen Dialekt handeln würde. Letztendlich wird sich das wohl nicht klären lassen, aber ich persönlich (S.W.) halte beides für unwahrscheinlich. Erstens findet sich dieses Phänomen doch nicht nur im Mund von Noomi, sondern auch im Mund des Erzählers (V. 19), zweitens lässt sich hier doch kein klares System erkennen, da auch Noomi an anderen Stellen, an denen diese Konstruktion zur Anwendung kommen könnte, die „korrekte“ Form verwendet (z.B. V. 9). Gegen Erklärung (1) spricht außerdem, dass sich auch das umgekehrte Phänomen findet: In Vv. 13 werden zwei Mal weibliche Pronomina für männliche Referenten verwendet. Besonders wegen dem ersten Gegenargument denke ich daher, dass man diees Phänomen besser als Ausprägung einer recht späten Form des Hebräischen erklären sollte: Die Verwechslung von -m und -n findet sich häufiger im späten Hebräisch und nimmt spätestens von der Zeit des zweiten Tempels an immer mehr zu (vgl. z.B. HDSS § 200.142; zu hemma in Rut 1,22 noch Schattner-Rieser 1994, S. 196f; ad loc. ähnlich Bar-Asher 2008; Bar-Asher 2009, S. 44). Wahrscheinlich sollte man die Konstruktion also eher als Ausprägung des späten Hebräisch erklären und weniger dem bewussten Gestaltungswillen als einem „Versehen“ des Autors zuschreiben. In diesem Falle wäre es für die Übersetzung irrelevant. (zu v.8)
yHaus ihrer Mutter - ungewöhnlicher Ausdruck; für gewöhnlich spricht man im Hebräischen vom „Haus des Vaters“. Man ist daher bereits davon ausgegangen, dass auch die Väter von Rut und Orpa bereits gestorben wären, dass die Formulierung Reflex einer matriarchalen Gesellschaftsstruktur in Moab wäre, dass Rut und Orpa aus zwei sehr wohlhabenden Familien stammten, in denen jede der Frauen ihres Vaters (im Alten Orient war Polygamie verbreitet) einen eigenen Haushalt gehabt habe oder dass vom „Haus der Mutter“ regelmäßig dann gesprochen werde, wenn persönliche Angelegenheiten wie etwa die nächste Heirat besprochen werden sollte (dies letzte erwägenswert z.B. Campbell 1975, S. 64; Hajek 1962, S. 28f.; Zakovitch 1999, S. 89). Besser aber so: Der Ausdruck „Haus des Vaters“ steht in der Bibel selten für das Gebäude, sondern i.S.v. „Haushalt“ für die Familie des Vaters. Das ist wohl auch hier der Sinn; Noomi entbindet ihre Schwiegertöchter hier von ihren Verwandtschaftspflichten (s. nächste FN): „Kehrt zurück zu den Familien eurer Mütter, statt als meine Schwiegertöchter mit mir - eurer Schwiegermutter - nach Juda zurückzukehren.“ (vgl. ähnlich Levine 1983, S. 98f, FN 7). (Zurück zu v.8)
zLiebe - Heb. chesed, ein Schlüsselwort im Buch. (Zurück zu v.8)
aaWahrscheinlich durfte Noomi ihre Schwiegertöchter rechtlich gesehen gar nicht zurückschicken. Im Alten Israel galt eine kinderlose Witwe auch nach dem Tod ihres Mannes noch als mit diesem verheiratet, unterlag deshalb der Pficht der sog. „Schwagerehe“ und musste deshalb mit einem Verwandten den Beischlaf vollziehen, um so ein Kind zu zeugen, das dann rechtlich als Nachkomme ihres verstorbenen Ehemanns galt (s. näher die Erläuterungen zu Kap. 4) - sie war nicht frei, zu gehen, wohin sie wollte oder zu heiraten, wen sie wollte (vgl. z.B. Belkin 1970, S. 280.283). Nach der Vorstellung des Rutbuchs konnte diese Rolle des Verwandten von Boaz übernommen werden - es existierte also ein solcher „Schwager“ - und nur dieser hätte Rut von ihrer Schwagerehenpflicht entbinden können (da der Vater und der Bruder des verstorbenen Machlons ebenfalls bereits gestorben waren; s. auch noch mal FN u). So stellt es sich zumindest nach dem, was wir über das altisraelitische Familienrecht wissen, dar. Theoretisch wäre es möglich, dass im Falle des Todes aller nahen Verwandten auch die Schwiegermutter das Recht hatte, ihre Schwiegertochter von dieser Pflicht zu entbinden (ähnlich z.B. Thompson/Thompson 1968, S. 96); aber wenn es so war, wissen wir es zumindest nicht.

Aber selbst in dem Falle, dass Noomi tatsächlich das Recht gehabt hätte, ihre Schwiegertöchter von dieser ihrer Schwagerehenpflicht zu entbinden und ihnen zu gestatten, zur Familie ihrer Eltern zurückzukehren, wäre Noomis hieriges Handeln ganz außergewöhnlich. Witwenschaft (s. zu Näherem Witwe und Waise (Wibilex) war im Alten Orient eine soziale Krisensituation: Witwen hatten im Alten Israel nur wenige Rechte (da die Rechtspflege in den Händen der Männer lag) und keinen Besitz (da wahrscheinlich Witwen erst ab der hellenistischen Zeit erben konnten). Noomi und den beiden Schwiegertöchtern stand in Juda also ein sehr schweres Geschick bevor. Der Vollzug der Schwagerehe durch eine der beiden Schwiegertöchter hätte Noomi idealiter vor diesem Schicksal bewahren können: Der Sohn, der aus dieser Verbindung hervorgehen würde, wäre dann wahrscheinlich im Haus des Schwagers großgezogen worden, und über diesen „Sohn“ Machlons oder Kiljons, der dann Noomis nächster Verwandter wäre, hätte vermutlich auch sie Eingang in den Haushalt ihres Schwagers gefunden und wäre so wirtschaftlich und rechtlich abgesichert - und darauf verzichtet Noomi mit ihrer hierigen Aufforderung.

Dass Noomi also hier ihre Schwiegertöchter auffordert, zu ihren Familien in Moab zurückzukehren, ist nicht nur nach israelitischem Recht der zweite Rechtsbruch im Rutbuch, sondern auch ein großes Opfer Noomis. (Zurück zu v.8)