Psalm 30: Unterschied zwischen den Versionen

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{{S|7}} Als ich<ref name="Tempus">Vv. 7-8 werden fast stets einander beigeordnet: „7a: Ich sagte in meiner Sorglosigkeit: „[...]“ / 8a: JHWH, du hast mich in deiner Gunst auf starke Berge gestellt / 8b: Du verbargst dein Gesicht, / 8c: Ich war bestürzt“. Die Wortfolge ist aber 7a: X-Qatal, 8a: X-Qatal, 8b: Qatal-X, 8c: Qatal-X, daher sollte man Vv. 7a.8a besser als Umstandssätze deuten: „7a: Als ich... 8a: weil du/[und] als du... 8b: da... 8c: und da...“. Das {{hebr}}וַאֲנִי{{hebr ende}} dient nur der Bildung der Wortfolge X-Qatal und sollte keinesfalls derart betont übersetzt werden, wie es gern getan wird („Und ich, ich sagte...“; Alter 2007, Brueggemann/Bellinger 2014; Christensen 2005.30; Craigie 1983; Ross 2011; Terrien 2003; Tromp 1966; Weber 2007; Zenger 1987).</ref> in meiner Sorglosigkeit<ref></ref> sprach:<br />
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{{S|7}} Als ich<ref name="Tempus">Vv. 7-8 werden fast stets einander beigeordnet: „7a: Ich sagte in meiner Sorglosigkeit: „[...]“ / 8a: JHWH, du hast mich in deiner Gunst auf starke Berge gestellt / 8b: Du verbargst dein Gesicht, / 8c: Ich war bestürzt“. Die Wortfolge ist aber 7a: X-Qatal, 8a: X-Qatal, 8b: Qatal-X, 8c: Qatal-X, daher sollte man Vv. 7a.8a besser als Umstandssätze deuten: „7a: Als ich... 8a: weil du/[und] als du... 8b: da... 8c: und da...“. Das {{hebr}}וַאֲנִי{{hebr ende}} dient nur der Bildung der Wortfolge X-Qatal und sollte keinesfalls derart betont übersetzt werden, wie es gern getan wird („Und ich, ich sagte...“; Alter 2007, Brueggemann/Bellinger 2014; Christensen 2005.30; Craigie 1983; Ross 2011; Terrien 2003; Tromp 1986; Weber 2007; Zenger 1987).</ref> in meiner Sorglosigkeit<ref></ref> sprach:<br />
 
: ‚Niemals werde ich wanken<ref>Das „Wanken“ ist in der biblischen Poesie eine häufige Metapher für eine Gefährdung, aus der direkt Vernichtung und Tod folgt. Wer dagegen „nicht wankt“ ist sicher und geschützt und wird daher ewig bestehen; s. bes. gut [[Psalm 46#s6 |Ps 46,6f]]; auch [[Psalm 16#s8 |Ps 16,8]]; [[Psalm 62#s3 |62,3.7]]; [[Psalm 112#s6 |112,6]]; [[Psalm 125#s1 |125,1]]; [[Sprichwörter 10#s30 |Spr 10,30]]; [[Sprichwörter 12#s3 |12,3]]. Wie an den Stellen zu sehen ist, handelt es sich bei diesem nicht-Wanken meist um eine Gnadengabe Gottes; so ja auch hier, s. V. 8.<br />
 
: ‚Niemals werde ich wanken<ref>Das „Wanken“ ist in der biblischen Poesie eine häufige Metapher für eine Gefährdung, aus der direkt Vernichtung und Tod folgt. Wer dagegen „nicht wankt“ ist sicher und geschützt und wird daher ewig bestehen; s. bes. gut [[Psalm 46#s6 |Ps 46,6f]]; auch [[Psalm 16#s8 |Ps 16,8]]; [[Psalm 62#s3 |62,3.7]]; [[Psalm 112#s6 |112,6]]; [[Psalm 125#s1 |125,1]]; [[Sprichwörter 10#s30 |Spr 10,30]]; [[Sprichwörter 12#s3 |12,3]]. Wie an den Stellen zu sehen ist, handelt es sich bei diesem nicht-Wanken meist um eine Gnadengabe Gottes; so ja auch hier, s. V. 8.<br />
Der Gnadenentzug JHWHs in V. 9 kommt dann sehr unmotiviert; man hat deshalb versucht, dem Psalmisten zu unterstellen, dass er sich ähnlich wie der Frevler in [[Psalm 10#s6 |Ps 10,6]] der Hybris schuldig mache (und übersetzt dann auch das obige „Sorglosigkeit“ mit „Selbstsicherheit“, „Gedankenlosigkeit“ (Tromp 1966), „Selbstgeruhsamkeit“ (Weber 2007) oder „im Vertrauen auf mich“ (HER)). Vom Text her liegt das hier recht fern; man wird sich damit bescheiden müssen, dass der plötzliche Gnadenentzug JHWHs unerklärlich ist - dass er allein der Willkür Gottes geschuldet ist.</ref>!‘
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Der Gnadenentzug JHWHs in V. 9 kommt dann sehr unmotiviert; man hat deshalb versucht, dem Psalmisten zu unterstellen, dass er sich ähnlich wie der Frevler in [[Psalm 10#s6 |Ps 10,6]] der Hybris schuldig mache (und übersetzt dann auch das obige „Sorglosigkeit“ mit „Selbstsicherheit“, „Gedankenlosigkeit“ (Tromp 1986), „Selbstgeruhsamkeit“ (Weber 2007) oder „im Vertrauen auf mich“ (HER)). Vom Text her liegt das hier recht fern; man wird sich damit bescheiden müssen, dass der plötzliche Gnadenentzug JHWHs unerklärlich ist - dass er allein der Willkür Gottes geschuldet ist.</ref>!‘
 
: {{S|8}} weil du ([und] als du)<ref name="Tempus" />, JHWH ({JHWH})<ref>'''Textkritik''': ''JHWH'' ist vielleicht metri causa zu streichen; s. BHS, Briggs 1906; Gunkel 1968; Kittel 1914; Kraus 1961; Schmidt 1934. Solche Streichungen metri causa sind zwar heute eher unbeliebt geworden; aber man sieht ja bereits an der Übersetzung, dass der Sticho untypisch lang ist. Dennoch sollte man heute davon wohl eher Abstand nehmen; vielleicht sollte man aber in der LF den Sticho als zwei Stichen setzen: „Weil du, JHWH, mich standfester gemacht hast / als die Berge standfest sind.“</ref>, mich in deiner Gunst standhafter als die starken (sicheren) Berge gemacht hast,<ref>V. 8a könnte auch noch zum Selbstzitat in 7b gehören: „Ich werde niemals wanken, weil du, oh JHWH, mich standfester als die starken Berge gemacht hast.“<br />
 
: {{S|8}} weil du ([und] als du)<ref name="Tempus" />, JHWH ({JHWH})<ref>'''Textkritik''': ''JHWH'' ist vielleicht metri causa zu streichen; s. BHS, Briggs 1906; Gunkel 1968; Kittel 1914; Kraus 1961; Schmidt 1934. Solche Streichungen metri causa sind zwar heute eher unbeliebt geworden; aber man sieht ja bereits an der Übersetzung, dass der Sticho untypisch lang ist. Dennoch sollte man heute davon wohl eher Abstand nehmen; vielleicht sollte man aber in der LF den Sticho als zwei Stichen setzen: „Weil du, JHWH, mich standfester gemacht hast / als die Berge standfest sind.“</ref>, mich in deiner Gunst standhafter als die starken (sicheren) Berge gemacht hast,<ref>V. 8a könnte auch noch zum Selbstzitat in 7b gehören: „Ich werde niemals wanken, weil du, oh JHWH, mich standfester als die starken Berge gemacht hast.“<br />
 
Der Text selbst ist schwierig; wörtlich scheint er auf den ersten Blick zu bedeuten: „Du hast meinem Berg Stärke hingestellt“. Früher wurde er deshalb oft so erklärt, dass der Sprechende - wie in der Überschrift angegeben - David wäre, der davon spreche, dass Gott „seinen“ Berg - den Zion - so stark gemacht habe. Diese Interpretation ist heute nicht mehr vertretbar (Gunkel 1968; Wachter 1966), weshalb man zu einer der folgenden Lösungen greifen muss (unsere Deutung: Deutung (2)):  
 
Der Text selbst ist schwierig; wörtlich scheint er auf den ersten Blick zu bedeuten: „Du hast meinem Berg Stärke hingestellt“. Früher wurde er deshalb oft so erklärt, dass der Sprechende - wie in der Überschrift angegeben - David wäre, der davon spreche, dass Gott „seinen“ Berg - den Zion - so stark gemacht habe. Diese Interpretation ist heute nicht mehr vertretbar (Gunkel 1968; Wachter 1966), weshalb man zu einer der folgenden Lösungen greifen muss (unsere Deutung: Deutung (2)):  
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## {{hebr}}הֶעֱמַדְתָּה לִי הָדָר וְעֹז{{hebr ende}} ''Du hast mir Würde und Stärke verliehen'': Bertholet 1928; Kissane 1953; FENZ; GUAR
 
## {{hebr}}הֶעֱמַדְתָּה לִי הָדָר וְעֹז{{hebr ende}} ''Du hast mir Würde und Stärke verliehen'': Bertholet 1928; Kissane 1953; FENZ; GUAR
 
## {{hebr}}הֶעֱמַדְתָּה לְהֲדָרֵי עֹז{{hebr ende}} ''Du hast meiner Würde Stärke verliehen'': LXX, Spiekermann 1989
 
## {{hebr}}הֶעֱמַדְתָּה לְהֲדָרֵי עֹז{{hebr ende}} ''Du hast meiner Würde Stärke verliehen'': LXX, Spiekermann 1989
# Craigie 1983; Dahood 1965 und Tromp 1966 dagegen denken, dass {{hebr}}הֶעֱמַדְתָּה{{hebr ende}} mit einem double-duty-Suffix (-> Brachylogie) aus 8b und in der Bedeutung „standfest sein“ zu lesen sei; {{hebr}}לְ{{hebr ende}} ist für sie ''lamed comparativum'': ''Du machtest mich standfester als die starken Berge''.  
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# Craigie 1983; Dahood 1965 und Tromp 1986 dagegen denken, dass {{hebr}}הֶעֱמַדְתָּה{{hebr ende}} mit einem double-duty-Suffix (-> Brachylogie) aus 8b und in der Bedeutung „standfest sein“ zu lesen sei; {{hebr}}לְ{{hebr ende}} ist für sie ''lamed comparativum'': ''Du machtest mich standfester als die starken Berge''.  
 
Deutung (2) ist hier vorzuziehen, da sie als einzige keiner Emendation bedarf.</ref><br />
 
Deutung (2) ist hier vorzuziehen, da sie als einzige keiner Emendation bedarf.</ref><br />
 
verbargst du dein Gesicht (wandtest du dein Gesicht ab)<ref>Dahood 1983 leitet (wie schon [[Psalm 10#s11 |Ps 10,11]]) {{hebr}}הִסְתַּרְתָּ{{hebr ende}} ''du hast verborgen'' von {{hebr}}סור{{hebr ende}} ''umkehren'' mit t-Infix ab (dazu vgl. Waldmann 1989, S. 34-36; ebenso wird das selbe Wort in [[Ijob 3#s10 |Ijob 3,10]] und [[Ijob 13#s24 |Ijob 13,24]] von Blommerde 1969, S. 14 analysiert): „Du hast abgewandt“. Doch ist das sprachlich unwahrscheinlich und wohl unnötig; vgl. Friedmann 1977. So und so ist die Bedeutung klar: Die Rede vom „Verbergen des Gesichtes“ findet sich häufiger in der Bibel und bedeutet etwa „nicht hinsehen“ (s. z.B. [[Exodus 3#s6 |Ex 3,6]]; [[Psalm 10#s11 |Ps 10,11]]; [[Psalm 51#s11 |51,11]]; [[Jesaja 50#s6 |Jes 50,6]]); in Bezug auf JHWHs Gesicht ist der Ausdruck sprichwörtlich geworden für einen Gnadenentzug JHWHs (s. [[Deuteronomium 31#s17 |Dtn 31,17f.20]]; [[Psalm 13#s2 |Ps 13,2]]; [[Psalm 22#s25 |22,25]]; [[Psalm 27#s9 |27,9]]; [[Psalm 44#s25 |44,25]]; [[Psalm 69#s18 |69,18]]; [[Psalm 88#s15 |88,15]]; [[Ps 102#s3 |102,3]]; [[Psalm 104#s29 |104,29]]; [[Psalm 143#s7 |143,7]]; [[Jesaja 8#s17 |Jes 8,17]]; [[Jesaja 54#s8 |54,8]]; [[Jesaja 59#s2 |59,2]]; [[Jesaja 64#s6 |64,6]]; [[Jeremia 33#s5 |Jer 33,5]]; [[Ezechiel 39#s23 |Ez 39,23f.29]]; [[Micha 3#s4 |Mic 3,4]]); die Bedeutung ist also etwa „JHWH schaut jemanden nicht mehr gnädig an“ und lässt so zu, dass Unheil über ihn hereinbricht.</ref><br />
 
verbargst du dein Gesicht (wandtest du dein Gesicht ab)<ref>Dahood 1983 leitet (wie schon [[Psalm 10#s11 |Ps 10,11]]) {{hebr}}הִסְתַּרְתָּ{{hebr ende}} ''du hast verborgen'' von {{hebr}}סור{{hebr ende}} ''umkehren'' mit t-Infix ab (dazu vgl. Waldmann 1989, S. 34-36; ebenso wird das selbe Wort in [[Ijob 3#s10 |Ijob 3,10]] und [[Ijob 13#s24 |Ijob 13,24]] von Blommerde 1969, S. 14 analysiert): „Du hast abgewandt“. Doch ist das sprachlich unwahrscheinlich und wohl unnötig; vgl. Friedmann 1977. So und so ist die Bedeutung klar: Die Rede vom „Verbergen des Gesichtes“ findet sich häufiger in der Bibel und bedeutet etwa „nicht hinsehen“ (s. z.B. [[Exodus 3#s6 |Ex 3,6]]; [[Psalm 10#s11 |Ps 10,11]]; [[Psalm 51#s11 |51,11]]; [[Jesaja 50#s6 |Jes 50,6]]); in Bezug auf JHWHs Gesicht ist der Ausdruck sprichwörtlich geworden für einen Gnadenentzug JHWHs (s. [[Deuteronomium 31#s17 |Dtn 31,17f.20]]; [[Psalm 13#s2 |Ps 13,2]]; [[Psalm 22#s25 |22,25]]; [[Psalm 27#s9 |27,9]]; [[Psalm 44#s25 |44,25]]; [[Psalm 69#s18 |69,18]]; [[Psalm 88#s15 |88,15]]; [[Ps 102#s3 |102,3]]; [[Psalm 104#s29 |104,29]]; [[Psalm 143#s7 |143,7]]; [[Jesaja 8#s17 |Jes 8,17]]; [[Jesaja 54#s8 |54,8]]; [[Jesaja 59#s2 |59,2]]; [[Jesaja 64#s6 |64,6]]; [[Jeremia 33#s5 |Jer 33,5]]; [[Ezechiel 39#s23 |Ez 39,23f.29]]; [[Micha 3#s4 |Mic 3,4]]); die Bedeutung ist also etwa „JHWH schaut jemanden nicht mehr gnädig an“ und lässt so zu, dass Unheil über ihn hereinbricht.</ref><br />
 
: [und] ich war bestürzt (erschrak)
 
: [und] ich war bestürzt (erschrak)
{{S|9}} [Und sprach:]<ref>Darüber, dass Vv. 10f. den vergangenen Flehruf des Psalmisten zitiert, besteht heute Konsens (Kissane 1953 und Zorell 1928 nach LXX dagegen nur V. 10;  Buttenwieser 1938 sogar Vv. 10-13; dafür müssen sie aber unnötigerweise mehrfach emendieren). V. 9 wird dabei meist als Redeeinleitung aufgefasst: „[Damals] rief ich zu dir, JHWH / meinen Herrn flehte ich an: ‚...‘“. Das ist sicher nicht so; die beiden Verben in V. 9 stehen im Yiqtol, und eine Wiedergabe durch Vergangenheit „widerspricht jeder Regel“ (Buttenwieser 1938, S. 575). Allenfalls möglich wäre eine iterative Deutung: „immer wieder rief ich zu dir, JHWH...“, so aber nur Weber 2007; vgl. noch Tromp 1966, S. 257. Daher sollte man V. 9 wohl besser auch zum vergangenen Flehruf rechnen, der derart hier ohne Redeeinleitung zitiert wird, und selbst eine Redeeinleitung ergänzen.</ref> ‚Ich will zu dir rufen, JHWH,
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{{S|9}} [Und sprach:]<ref>Darüber, dass Vv. 10f. den vergangenen Flehruf des Psalmisten zitiert, besteht heute Konsens (Kissane 1953 und Zorell 1928 nach LXX dagegen nur V. 10;  Buttenwieser 1938 sogar Vv. 10-13; dafür müssen sie aber unnötigerweise mehrfach emendieren). V. 9 wird dabei meist als Redeeinleitung aufgefasst: „[Damals] rief ich zu dir, JHWH / meinen Herrn flehte ich an: ‚...‘“. Das ist sicher nicht so; die beiden Verben in V. 9 stehen im Yiqtol, und eine Wiedergabe durch Vergangenheit „widerspricht jeder Regel“ (Buttenwieser 1938, S. 575). Allenfalls möglich wäre eine iterative Deutung: „immer wieder rief ich zu dir, JHWH...“, so aber nur Weber 2007; vgl. noch Tromp 1986, S. 257. Daher sollte man V. 9 wohl besser auch zum vergangenen Flehruf rechnen, der derart hier ohne Redeeinleitung zitiert wird, und selbst eine Redeeinleitung ergänzen.</ref> ‚Ich will zu dir rufen, JHWH,
 
: und zu meinem Herrn (zu dir, meinem Herrn)<ref>'''Textkritik''': Viele Exegeten emendieren, um den Personenwechsel zu vermeiden, nach Syr und Tg {{hebr}}וְאֶל־אֲדֹנָי{{hebr ende}} ''und zu meinem Herrn'' zu {{hebr}}וְאֵלֶיךָ אֲדֹנָי{{hebr ende}}: ''und zu dir, meinem Herrn''. Dahood 1965 will sogar emendieren: {{hebr}}וְאֵל אֲדֹנָי{{hebr ende}}: ''Oh El, mein Herr, ich will flehen''. Das ist ganz unnötig; wir haben es hier wieder mit einem P-Shift zu tun (''ad loc.'' ähnlich Spiekermann 1989, S. 255). Das „zu dir, mein Herr“ von Tg und Syr kann auch einfach darauf zurückgeführt werden, dass sie das richtig gesehen haben; auch in der LF sollte besser so übertragen werden, da es solche Shifts im Deutschen nicht gibt.</ref> flehen!<br />
 
: und zu meinem Herrn (zu dir, meinem Herrn)<ref>'''Textkritik''': Viele Exegeten emendieren, um den Personenwechsel zu vermeiden, nach Syr und Tg {{hebr}}וְאֶל־אֲדֹנָי{{hebr ende}} ''und zu meinem Herrn'' zu {{hebr}}וְאֵלֶיךָ אֲדֹנָי{{hebr ende}}: ''und zu dir, meinem Herrn''. Dahood 1965 will sogar emendieren: {{hebr}}וְאֵל אֲדֹנָי{{hebr ende}}: ''Oh El, mein Herr, ich will flehen''. Das ist ganz unnötig; wir haben es hier wieder mit einem P-Shift zu tun (''ad loc.'' ähnlich Spiekermann 1989, S. 255). Das „zu dir, mein Herr“ von Tg und Syr kann auch einfach darauf zurückgeführt werden, dass sie das richtig gesehen haben; auch in der LF sollte besser so übertragen werden, da es solche Shifts im Deutschen nicht gibt.</ref> flehen!<br />
{{S|10}} Welcher Gewinn [ist] in meinem Blut<ref>zum Sinn vgl. gut Halévy 1895a, S. 32, der den Sticho als eine Kurzform von [[Genesis 37#s26 |Gen 37,26]] erklärt: „Welchen Gewinn hättest du, wenn du mich tötetest und mein Blut vergössest?“). Die Umpunktierung von {{hebr}}בְּדָמִי{{hebr ende}} ''in meinem Blut'' nach {{hebr}}בְּדּמִּי{{hebr ende}} ''wenn ich verstummte'' („Was nützte es, wenn ich verstummte“; Ehrlich 1905; Tromp 1966; Zorell 1928) ist unnötig.</ref>
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{{S|10}} Welcher Gewinn [ist] in meinem Blut<ref>zum Sinn vgl. gut Halévy 1895a, S. 32, der den Sticho als eine Kurzform von [[Genesis 37#s26 |Gen 37,26]] erklärt: „Welchen Gewinn hättest du, wenn du mich tötetest und mein Blut vergössest?“). Die Umpunktierung von {{hebr}}בְּדָמִי{{hebr ende}} ''in meinem Blut'' nach {{hebr}}בְּדּמִּי{{hebr ende}} ''wenn ich verstummte'' („Was nützte es, wenn ich verstummte“; Ehrlich 1905; Tromp 1986; Zorell 1928) ist unnötig.</ref>
 
: [und] in meinem Hinabfahren in den Schacht<ref>zu „Schacht“ als Metapher für die Unterwelt vgl. [http://www.offene-bibel.de/wiki/index.php5?title=Psalm_30#note_c FN c].</ref>?
 
: [und] in meinem Hinabfahren in den Schacht<ref>zu „Schacht“ als Metapher für die Unterwelt vgl. [http://www.offene-bibel.de/wiki/index.php5?title=Psalm_30#note_c FN c].</ref>?
 
Kann Lehm (können Tote)<ref>Meist: „Kann Lehm dich preisen“, d.h. der Stoff, aus dem der Mensch nach [[Genesis 2#s7 |Gen 2,7]] besteht und der nach seinem Tod übrig bleibt (Inkonsequenterweise wird das Wort leider fast stets - und auch hier - als „Staub“ übersetzt, wenn auf den Zeitpunkt nach dem Tod des Menschen verwiesen wird). Sinnvoller erscheint mir (S.W.) jedoch: {{hebr}}עפר{{hebr ende}} kann auch für tote Menschen stehen (vgl. TLOT 1185; ''ad loc.'' auch Fürst 1078); dann „Können Tote dich preisen?“. Der Vers verdichtete dann den Topos, dass gestorbene und in die Unterwelt hinabgefahrene Menschen vom Kontakt mit Gott abgeschnitten sind und ihn darum eben nicht mehr preisen können (s. z.B. [[Psalm 6#s6 |Ps 6,6]]; [[Jesaja 38#s18 |Jes 38,18]]; [[Jesus Sirach 17#s27 |Sir 17,27]] u.ö.). Das ist meines Wissens aber noch nie vorgeschlagen worden (aber s. HfA: „Kann ein Toter dir noch danken?“; auch die Info der BB: „Gemeint sind die Verstorbenen, die unten im Totenreich in staubtrockener Erde ruhen.“), daher sollte man wohl doch bei der Standard-Übersetzung bleiben.</ref> dich preisen?<br />
 
Kann Lehm (können Tote)<ref>Meist: „Kann Lehm dich preisen“, d.h. der Stoff, aus dem der Mensch nach [[Genesis 2#s7 |Gen 2,7]] besteht und der nach seinem Tod übrig bleibt (Inkonsequenterweise wird das Wort leider fast stets - und auch hier - als „Staub“ übersetzt, wenn auf den Zeitpunkt nach dem Tod des Menschen verwiesen wird). Sinnvoller erscheint mir (S.W.) jedoch: {{hebr}}עפר{{hebr ende}} kann auch für tote Menschen stehen (vgl. TLOT 1185; ''ad loc.'' auch Fürst 1078); dann „Können Tote dich preisen?“. Der Vers verdichtete dann den Topos, dass gestorbene und in die Unterwelt hinabgefahrene Menschen vom Kontakt mit Gott abgeschnitten sind und ihn darum eben nicht mehr preisen können (s. z.B. [[Psalm 6#s6 |Ps 6,6]]; [[Jesaja 38#s18 |Jes 38,18]]; [[Jesus Sirach 17#s27 |Sir 17,27]] u.ö.). Das ist meines Wissens aber noch nie vorgeschlagen worden (aber s. HfA: „Kann ein Toter dir noch danken?“; auch die Info der BB: „Gemeint sind die Verstorbenen, die unten im Totenreich in staubtrockener Erde ruhen.“), daher sollte man wohl doch bei der Standard-Übersetzung bleiben.</ref> dich preisen?<br />

Version vom 27. Juli 2014, 12:36 Uhr

Syntax ungeprüft

SF in Arbeit.png
Status: Studienfassung in Arbeit – Einige Verse des Kapitels sind bereits übersetzt. Wer die biblischen Ursprachen beherrscht, ist zum Einstellen weiterer Verse eingeladen. Auf der Diskussionsseite kann die Arbeit am Urtext dokumentiert werden. Dort ist auch Platz für Verbesserungsvorschläge und konstruktive Anmerkungen.
Folgt-später.png
Status: Lesefassung folgt später – Bevor eine Lesefassung erstellt werden kann, muss noch an der Studienfassung gearbeitet werden. Siehe Übersetzungskriterien und Qualitätssicherung Wir bitten um Geduld.

Lesefassung (Psalm 30)

(kommt später)

Studienfassung (Psalm 30)

1 Ein Psalm (begleitetes Lied). Ein Lied zur Tempelweihea (Einweihung des Hauses) von (für, über, nach Art von) David


2 Ich will dir dafür danken, JHWH, dass (dich preisen/erhöhen, denn)b du mich herausgeschöpft (emporgezogen)cd hast

und dass du meine Feinde (meinen Feind)ed sich nicht über mich (meine meinigen Feinde sich nicht)f freuen (triumphieren) lassen hast.

3 JHWH, mein Gott (JHWH, du bist mein Gott.), ich schrie zu dir um Hilfe (schrie zu dir, rief dich an)

Und du hast mich geheilt (damit du mich heilst, als ich zu dir schrie, hast du mich geheilt)d.

4 JHWH, du hast mich (meine Seele)g aus dem Scheol (aus der Unterwelt, aus der Totenwelt) heraufgeholthd,

du hast mich erweckt (mich leben lassen)d aus den zur Grubei Hinabgefahrenen (bewahrt vom Hinabfahren)j.


5 Singt (spielt)k JHWH, ihr seine Frommenl,

preist den Heiligen (seinen heiligen Namen, das Gedenken seiner Heiligkeit)m!

6 {Oh!,} (Denn)n [Nur] einen Augenblick lang währt sein Zorn,

ein Leben lang währt seine Huld.o

{Oh!,} (Denn)n Bleibt auch das Weinen (das Weinen bleibt) über Nacht (am Abend, verbringt man die Nacht auch weinend)p

[ist] doch am Morgen (und am Morgen ist) Jauchzen.


7 Als ichq in meiner Sorglosigkeitr sprach:

‚Niemals werde ich wankens!‘
8 weil du ([und] als du)q, JHWH ({JHWH})t, mich in deiner Gunst standhafter als die starken (sicheren) Berge gemacht hast,u

verbargst du dein Gesicht (wandtest du dein Gesicht ab)v

[und] ich war bestürzt (erschrak)

9 [Und sprach:]w ‚Ich will zu dir rufen, JHWH,

und zu meinem Herrn (zu dir, meinem Herrn)x flehen!

10 Welcher Gewinn [ist] in meinem Bluty

[und] in meinem Hinabfahren in den Schachtz?

Kann Lehm (können Tote)aa dich preisen?

Kann er (können sie) deine Treue verkünden?

11 Höre (erhöre mich)ab, JHWH, und sei mir gnädig!

JHWH, sei mir Helfer!‘

12 Da hast du (du hast)ac mir mein Klagen in Tanzen verwandelt,

hast mir die Trauerkleidung ausgezogen und mich mit Freude bekleidet (gegürtet)ad.

13 Darum (so dass, damit)ae will ich ([meine] Herrlichkeit, [meine] Seele, [meine] Leber, [mein] Herz)af dich besingen und nie (nicht) verstummen (schweigen);

JHWH, mein Gott, auf ewig will ich dich preisen!

Anmerkungen

aDie „Tempelweihe“ ist das seit 165 v. Chr. begangene Fest der Wiederherstellung des Tempels (vgl. 1Makk 4,52ff; 2Makk 10,5ff; Joh 10,22). Nach Sopherim 18,2 wurde der Psalm in der Tat zu dieser Gelegenheit gesungen. (Zurück zu v.1)
bW.: „Ich will dich erheben, denn“; doch übersetze: „Ich danke dir dafür, dass...“; ähnlich Gerstenberger 1972; Zenger 1987. - „Erheben“ ist ein üblicher hebräischer Ausdruck für „preisen“ und wurde im hebr. Text gewählt wegen dem Wortspiel „erheben“ - „emporziehen“; im Deutschen lässt sich das leider nicht nachahmen (BigS hat es versucht: „Ich will dich hochleben lassen“). Weiter ist „Jemanden preisen, denn X“ im Hebräischen eine formelhafte Wendung für „jemandem danken für X“ (vgl. Lande 1949, S. 106f.; ad loc. ähnlich Zenger 1987, S. 89); übersetze daher wie vorgeschlagen. (Zurück zu v.2)
cherausgeschöpft (emporgezogen) - das Verb meint meist „schöpfen“; manchmal auch nur allgemein „emporziehen“. Dahinter steckt folgendes: Im Alten Israel stellte man sich die Unterwelt als den tiefsten Ort des Kosmos vor; daher musste man davon sprechen, dass man z.B. zu ihr „hinabstieg“ oder aus ihr wieder „emporgezogen“ wurde. An unserer Stelle spielt noch mehr hinein: Weil man sich weiterhin die Unterwelt oft als am oder noch unter dem Meeresgrund gelegen vorstellte, sprach man von ihr häufig auch als dem „Brunnen“, der „Grube“, dem „Schacht“ oder der „Zisterne“ (vgl. z.B. Oesterley 1911, S. 139f; Schorch 2000, S. 97f); auf diese Metapher spielt das hierige Verb an: „Du hast mich [aus der Zisterne (=der Unterwelt)] herausgeschöpft“ meint sinngemäß „Du hast mich aus dem Totenreich gerettet“. Dass der Ort, von dem JHWH den Psalmisten emporschöpft, hier nicht genannt ist, gehört wohl auch zum in FN d beschriebenen Strukturprinzip.
Im Deutschen muss man das wohl freier formulieren; sinnvoll z.B. ALB, FENZ, NL: „du hast mich gerettet“; noch besser vielleicht: „Du hast mich der Unterwelt entrissen“ (nach Gerstenberger 1972). „Du hast mich aus der Tiefe/dem Abgrund gezogen“ (BB, , GN, HfA, LUT84, MEN, NeÜ, NGÜ, R-S, ZÜR) macht den Sachverhalt wohl nicht klar. (Zurück zu v.2)
dherausgeschöpft / meine Feinde / geheilt / heraufgeholt / erweckt sind wohl rein metaphorisch zu verstehen.

Vv. 2-4 sind bestimmt vom selben Strukturprinzip: Der Psalmist dankt Gott für die Rettung von verschiedenen Unheilsarten, ohne zu berichten, dass dieses Unheil überhaupt über ihn hereingebrochen ist: (1) V. 2a.4: [Er ist gestorben und] Gott hat ihn wieder auferweckt, (2) V. 2b: [Er wurde befeindet, doch] Gott hat seinen Feinden den Triumph über ihn nicht gegönnt, (3) V. 3: [Er war krank und] Gott hat ihn geheilt. Weil eben die „Vorgeschichte des Unheils“ hier nicht expliziert wird, versucht man in der Exegese meist, diese Vorgeschichte zu rekonstruieren. Es besteht schon fast ein Konsens, dass sie in etwa so aussah: Der Psalmist war krank - so krank war er, dass es ihm geradezu vorkam, als sei er bereits gestorben. Seine Feinde sind darüber sehr glücklich. Doch dann erbarmt sich Gott seiner, heilt ihn, holt ihn so „sozusagen“ - da er sich ja bereits als gestorben sah - wieder aus der Unterwelt empor und gönnt derart den Feinden des Psalmisten nicht die Freude über seinen Tod.
Diese Rekonstruktion wirkt auf mich (S.W.) persönlich nicht sonderlich rund (wg. dem Unterschied „krank sein“ <=> „tot sein“ einerseits, wegen dem plötzlichen unmotivierten Auftreten der „Feinde“ andererseits); sinnvoller erscheint mir daher der Hinweis darauf, dass all diese Elemente in der biblischen Poesie oft nur bildliche Rede sind, die keine weitere Funktion haben, als als Chiffren für ein nicht näher bestimmtes Unheil des Psalmisten zu stehen (vgl. ad loc. ähnlich Zenger 1987, S. 90 f.; zum „Heilen“ s. z.B. Jes 6,10; 57,18f). Was der Psalmist dann wieder und wieder betonen würde, wäre nur: „[Unheil war über mich hereingebrochen - und] JHWH hat mich gerettet.“ M.E. liegt dieses Verständnis hier näher.

Mindestens für die Fassung in Leichter Sprache wäre es dann vermutlich sinnvoller, zu jeweils anderen Metaphern zu greifen, die leichter als Metaphern für die Erlösung von einem unbestimmten Unheil erkennbar sind. (zu v.2 / zu v.3 / zu v.4)
emeine Feinde (meinen Feind) - Dahood 1965 deutet den Plural als pluralis excellentiae und deutet als „meinen Feind [- den Tod]“. Das ist durchaus bedenkenswert, da Vv. 2-4 ja immer wieder die Rettung vom Tod thematisieren und die „Feinde“ hier ohnehin sehr überraschend und unmotiviert stehen. Die traditionelle Deutung ist aber wohl ebenso gut möglich, siehe die letzte FN. (Zurück zu v.2)
fmeine Feinde sich nicht über mich (meine meinigen Feinde sich nicht) - Für „über mich“ sollte man im Hebräischen eigentlich eher עָלַי statt לִי erwarten. Halévy 1895a, S. 30 hat daher vorgeschlagen, לִי nicht als „über mich“, sondern als Verstärkung des „meine“ in „meine Feinde“ zu deuten: „meine meinigen Feinde“. Im Deutschen klingt das zwar merkwürdig (und sollte daher besser einfach mit „dass du meine Feinde sich nicht freuen (triumphieren) lassen hast“ übersetzt werden), im Hebräischen ist das aber durchaus möglich. Halévy selbst ist unsicher (und übersetzt „Et de ne pas avoir fait réjuir mes enemies (à mon détriment)), aber Alter 2007 scheint tatsächlich so zu lesen („and You gave no joy to my enemies“); ebenso NeÜ („du gabst meinen Feinden keinen Triumph“) und Schökel 1980 („y no has dado el triunfo a mis enemigos“). Ich (S.W.) würde das für die wahrscheinlichere Deutung halten, aber doch die traditionelle empfehlen, da es sich hier um eine starke Minderheitenmeinung handelt und die traditionelle Übersetzung auch nicht (sehr) problematisch ist. (Zurück zu v.2)
gW. „meine Seele“, doch im Hebräischen dient dies fast stets als Wechselbegriff für „mich“ (vgl. ad loc. Briggs 1906, S. 262; Terrien 2003, S. 282); übersetze durchaus wie vorgeschlagen. (Zurück zu v.4)
hgut verständlich ALB, HfA: „du hast mich dem Tode entrissen“ (Zurück zu v.4)
izu „Grube“ als Metapher für die Unterwelt vgl. FN c (Zurück zu v.4)
jTextkritik: Qere verbessert das Partizip des Ketiv „aus den Hinabgestiegenen“ zum Infinitiv „vom Hinabsteigen“, dann „du hast mich bewahrt vom Hinabsteigen“. „Aus den Hinabgestiegenen“ dagegen meint, dass Gott ihn als einzigen der vielen, die bereits ins Totenreich hinabgefahren sind, wieder auferweckt hat (vgl. ähnlich Mk 9,9, dazu FN ae). Letzteres ist hier sicher vorzuziehen und wird auch von fast allen vorgezogen, da die Infinitivform des Qere zwar grammatisch korrekt, aber im Hebräischen ungebräuchlich ist (die gebräuchliche Form wird V. 10 verwendet), die Wendung יורדי בור des Ketiv sich dagegen recht häufig in der Bibel findet. Vermutlich handelt es sich beim Qere um eine spätere theologische Interpretation, vgl. Buttenwieser 1938, S. 601. (Zurück zu v.4)
kspielt i.S.v. „musiziert auf Instrumenten“ ist unwahrscheinlich; die Instrumentalmusik im Tempelkult wurde wohl von den Priester und Leviten übernommen (vgl. Num 10,1-10; 2Chr 29,26-28). Übrigens darf man sich hier keine Himmelsmelodien vorstellen; eher muss man an einen „seltsamen, lauten und lärmenden Krach“ (Casey 2004, S. 203) denken. (Zurück zu v.5)
lDie „Frommen“ sind die versammelte Kultgemeinde, die beim Vortrag des Psalms anwesend ist. Vv. 5-6 sind ein für Dankpsalmen übliches „Wort an die Kultgemeinde“, das parenthetisch in das eigentlich Vorgetragene eingeschoben ist und hier (wie oft) die Kultgemeinde zum Einstimmen in den Lobpreis auffordert. (Zurück zu v.5)
mZu זכר (meist: „Gedenken“) = „Name“ vgl. Kön 90; SS 173; ZLH 209; ad loc. z.B. Buttenwieser 1938; Craigie 1983; Kittel 1914; Schökel 1980; Ross 2011; Schmidt 1934. Der „Name Gottes“ dient im AT aber fast ausschließlich als Wechselbegriff für Gott selbst; man bezeichnet damit „Gott im Menschenmund“. Übersetze daher wie vorgeschlagen. (Zurück zu v.5)
nemphatisches כי, so auch Deissler 1989; Kraus 1961. Im Deutschen nicht zu übersetzen. (zu v.6)
oschwieriger Vers. W. wird er meist gedeutet als „Ein Augenblick (רֶגַע) in (ב) seinem Zorn, ein Leben in (ב) seiner Huld“. Verschiedene Vorschläge sind gemacht worden, um ihn zu erklären:
  1. Die בs werden als als Beth existentiae gedeutet („ist“/„dauert“; vgl. Ges18 119f; KBL3 101); „Augenblick“ und „Leben“ sind adverbiale Akkusative der Zeit („einen Augenblick lang“ / „ein Leben lang“; vgl. GKC §118k): unsere Deutung: „Ein Augenblick lang dauert sein Zorn, / ein Leben lang dauert seine Huld“- so übersetzen zumindest auch Brueggemann/Bellinger 2014; Christensen 2005.30; Kittel 1914; Terrien 2003 und fast alle Üss.
  2. Die בs werden als als Beth essentiae gedeutet; wörtlich etwa „ein Augenblick lang [ist er] zornig, ein Leben lang huldreich“: Delitzsch 1894; wohl auch Ehrlich 1905. Ähnlich Buttenwieser 1938; er deutet aber merkwürdigerweise „Augenblick“ und „Leben“ als Subjekte des Satzes; wörtlich also etwa „Ein Augenblick [ist] voll seines Zorns / ein Leben voll seiner Huld“
  3. רֶגַע wird emendiert:
    1. nach LXX, Syr zu רׂגֶז Unruhe, Zorn, Toben: „Toben [ist] in seinem Zorn, / Leben [ist] in seiner Huld“: BHS; vgl. auch Kissane 1953
    2. zu נֶגַע Leiden, Krankheit: „Krankheit [ist] in seinem Zorn, / Leben [ist] in seiner Huld“: Gunkel 1968; Halévy 1895a; Schmidt 1934
  4. Es wird einfach ein Verb ergänzt, z.B.: „Nur kurz [handelt er] in seinem Zorn...“: Briggs 1906; Deissler 1989; Kraus 1961; Weber 2007
  5. רֶגַע wird eine andere Bedeutung gegeben:
    1. Schökel 1980 glaubt wg. Ijob 26,12; Jes 51,15 und Jer 31,35, dass רֶגַע auch „Beben“ bedeuten könne: „Zittern/Beben ist in seinem Zorn...“. Diese Bed. findet sich zwar auch in einigen Wörterbüchern, ist aber wohl falsch: רֶגַע bedeutet dort nicht „erbeben machen“ (nach רגע I), sondern „beruhigen“ (nach רגע II); s. jeweils den Kontext.
    2. Craigie 1983 und Dahood 1965 denken, es könne auch „Tod“ bedeuten: „Tod [ist] in seinem Zorn, ...“. Auch das ist wohl nicht so und ist m.W. auch außerhalb der Rome School von niemandem anerkannt worden. (Zurück zu v.6)
pverbringt man die Nacht auch weinend - so sinnvoll Buttenwieser 1938. Wegen des Parallelismus ist aber doch die Standard-Deutung vorzuziehen. (Zurück zu v.6)
qVv. 7-8 werden fast stets einander beigeordnet: „7a: Ich sagte in meiner Sorglosigkeit: „[...]“ / 8a: JHWH, du hast mich in deiner Gunst auf starke Berge gestellt / 8b: Du verbargst dein Gesicht, / 8c: Ich war bestürzt“. Die Wortfolge ist aber 7a: X-Qatal, 8a: X-Qatal, 8b: Qatal-X, 8c: Qatal-X, daher sollte man Vv. 7a.8a besser als Umstandssätze deuten: „7a: Als ich... 8a: weil du/[und] als du... 8b: da... 8c: und da...“. Das וַאֲנִי dient nur der Bildung der Wortfolge X-Qatal und sollte keinesfalls derart betont übersetzt werden, wie es gern getan wird („Und ich, ich sagte...“; Alter 2007, Brueggemann/Bellinger 2014; Christensen 2005.30; Craigie 1983; Ross 2011; Terrien 2003; Tromp 1986; Weber 2007; Zenger 1987). (Zurück zu v.7 / zu v.8)
r (Zurück zu v.7)
sDas „Wanken“ ist in der biblischen Poesie eine häufige Metapher für eine Gefährdung, aus der direkt Vernichtung und Tod folgt. Wer dagegen „nicht wankt“ ist sicher und geschützt und wird daher ewig bestehen; s. bes. gut Ps 46,6f; auch Ps 16,8; 62,3.7; 112,6; 125,1; Spr 10,30; 12,3. Wie an den Stellen zu sehen ist, handelt es sich bei diesem nicht-Wanken meist um eine Gnadengabe Gottes; so ja auch hier, s. V. 8.
Der Gnadenentzug JHWHs in V. 9 kommt dann sehr unmotiviert; man hat deshalb versucht, dem Psalmisten zu unterstellen, dass er sich ähnlich wie der Frevler in Ps 10,6 der Hybris schuldig mache (und übersetzt dann auch das obige „Sorglosigkeit“ mit „Selbstsicherheit“, „Gedankenlosigkeit“ (Tromp 1986), „Selbstgeruhsamkeit“ (Weber 2007) oder „im Vertrauen auf mich“ (HER)). Vom Text her liegt das hier recht fern; man wird sich damit bescheiden müssen, dass der plötzliche Gnadenentzug JHWHs unerklärlich ist - dass er allein der Willkür Gottes geschuldet ist. (Zurück zu v.7)
tTextkritik: JHWH ist vielleicht metri causa zu streichen; s. BHS, Briggs 1906; Gunkel 1968; Kittel 1914; Kraus 1961; Schmidt 1934. Solche Streichungen metri causa sind zwar heute eher unbeliebt geworden; aber man sieht ja bereits an der Übersetzung, dass der Sticho untypisch lang ist. Dennoch sollte man heute davon wohl eher Abstand nehmen; vielleicht sollte man aber in der LF den Sticho als zwei Stichen setzen: „Weil du, JHWH, mich standfester gemacht hast / als die Berge standfest sind.“ (Zurück zu v.8)
uV. 8a könnte auch noch zum Selbstzitat in 7b gehören: „Ich werde niemals wanken, weil du, oh JHWH, mich standfester als die starken Berge gemacht hast.“

Der Text selbst ist schwierig; wörtlich scheint er auf den ersten Blick zu bedeuten: „Du hast meinem Berg Stärke hingestellt“. Früher wurde er deshalb oft so erklärt, dass der Sprechende - wie in der Überschrift angegeben - David wäre, der davon spreche, dass Gott „seinen“ Berg - den Zion - so stark gemacht habe. Diese Interpretation ist heute nicht mehr vertretbar (Gunkel 1968; Wachter 1966), weshalb man zu einer der folgenden Lösungen greifen muss (unsere Deutung: Deutung (2)):

  1. Man muss emendieren; statt הֶעֱמַדְתָּה לְהַרְרִי עֹז du stelltest meinem Berg Stärke hin ist zu lesen:
    1. הֶעֱמַדְתָּנִי לְהַרְרֵי עֹז Du hast mich auf einen starken Berg gestellt: Kittel 1914; Kraus 1961; Schmidt 1934; Schökel 1980
    2. הָעֲמַדְתִּי לְהַרְרֵי עֹז Ich war gestellt auf einen starken Berg: Gunkel 1968; Kraus 1961
    3. הֶעֱמַדְתָּה לִי הַרְרֵי עֹז Du hast mir schützende Berge hingestellt: Wachter 1966; offenbar auch Dillmann
    4. הֶעֱמַדְתָּה לִי הָדָר וְעֹז Du hast mir Würde und Stärke verliehen: Bertholet 1928; Kissane 1953; FENZ; GUAR
    5. הֶעֱמַדְתָּה לְהֲדָרֵי עֹז Du hast meiner Würde Stärke verliehen: LXX, Spiekermann 1989
  2. Craigie 1983; Dahood 1965 und Tromp 1986 dagegen denken, dass הֶעֱמַדְתָּה mit einem double-duty-Suffix (-> Brachylogie) aus 8b und in der Bedeutung „standfest sein“ zu lesen sei; לְ ist für sie lamed comparativum: Du machtest mich standfester als die starken Berge.
Deutung (2) ist hier vorzuziehen, da sie als einzige keiner Emendation bedarf. (Zurück zu v.8)
vDahood 1983 leitet (wie schon Ps 10,11) הִסְתַּרְתָּ du hast verborgen von סור umkehren mit t-Infix ab (dazu vgl. Waldmann 1989, S. 34-36; ebenso wird das selbe Wort in Ijob 3,10 und Ijob 13,24 von Blommerde 1969, S. 14 analysiert): „Du hast abgewandt“. Doch ist das sprachlich unwahrscheinlich und wohl unnötig; vgl. Friedmann 1977. So und so ist die Bedeutung klar: Die Rede vom „Verbergen des Gesichtes“ findet sich häufiger in der Bibel und bedeutet etwa „nicht hinsehen“ (s. z.B. Ex 3,6; Ps 10,11; 51,11; Jes 50,6); in Bezug auf JHWHs Gesicht ist der Ausdruck sprichwörtlich geworden für einen Gnadenentzug JHWHs (s. Dtn 31,17f.20; Ps 13,2; 22,25; 27,9; 44,25; 69,18; 88,15; 102,3; 104,29; 143,7; Jes 8,17; 54,8; 59,2; 64,6; Jer 33,5; Ez 39,23f.29; Mic 3,4); die Bedeutung ist also etwa „JHWH schaut jemanden nicht mehr gnädig an“ und lässt so zu, dass Unheil über ihn hereinbricht. (Zurück zu v.8)
wDarüber, dass Vv. 10f. den vergangenen Flehruf des Psalmisten zitiert, besteht heute Konsens (Kissane 1953 und Zorell 1928 nach LXX dagegen nur V. 10; Buttenwieser 1938 sogar Vv. 10-13; dafür müssen sie aber unnötigerweise mehrfach emendieren). V. 9 wird dabei meist als Redeeinleitung aufgefasst: „[Damals] rief ich zu dir, JHWH / meinen Herrn flehte ich an: ‚...‘“. Das ist sicher nicht so; die beiden Verben in V. 9 stehen im Yiqtol, und eine Wiedergabe durch Vergangenheit „widerspricht jeder Regel“ (Buttenwieser 1938, S. 575). Allenfalls möglich wäre eine iterative Deutung: „immer wieder rief ich zu dir, JHWH...“, so aber nur Weber 2007; vgl. noch Tromp 1986, S. 257. Daher sollte man V. 9 wohl besser auch zum vergangenen Flehruf rechnen, der derart hier ohne Redeeinleitung zitiert wird, und selbst eine Redeeinleitung ergänzen. (Zurück zu v.9)
xTextkritik: Viele Exegeten emendieren, um den Personenwechsel zu vermeiden, nach Syr und Tg וְאֶל־אֲדֹנָי und zu meinem Herrn zu וְאֵלֶיךָ אֲדֹנָי: und zu dir, meinem Herrn. Dahood 1965 will sogar emendieren: וְאֵל אֲדֹנָי: Oh El, mein Herr, ich will flehen. Das ist ganz unnötig; wir haben es hier wieder mit einem P-Shift zu tun (ad loc. ähnlich Spiekermann 1989, S. 255). Das „zu dir, mein Herr“ von Tg und Syr kann auch einfach darauf zurückgeführt werden, dass sie das richtig gesehen haben; auch in der LF sollte besser so übertragen werden, da es solche Shifts im Deutschen nicht gibt. (Zurück zu v.9)
yzum Sinn vgl. gut Halévy 1895a, S. 32, der den Sticho als eine Kurzform von Gen 37,26 erklärt: „Welchen Gewinn hättest du, wenn du mich tötetest und mein Blut vergössest?“). Die Umpunktierung von בְּדָמִי in meinem Blut nach בְּדּמִּי wenn ich verstummte („Was nützte es, wenn ich verstummte“; Ehrlich 1905; Tromp 1986; Zorell 1928) ist unnötig. (Zurück zu v.10)
zzu „Schacht“ als Metapher für die Unterwelt vgl. FN c. (Zurück zu v.10)
aaMeist: „Kann Lehm dich preisen“, d.h. der Stoff, aus dem der Mensch nach Gen 2,7 besteht und der nach seinem Tod übrig bleibt (Inkonsequenterweise wird das Wort leider fast stets - und auch hier - als „Staub“ übersetzt, wenn auf den Zeitpunkt nach dem Tod des Menschen verwiesen wird). Sinnvoller erscheint mir (S.W.) jedoch: עפר kann auch für tote Menschen stehen (vgl. TLOT 1185; ad loc. auch Fürst 1078); dann „Können Tote dich preisen?“. Der Vers verdichtete dann den Topos, dass gestorbene und in die Unterwelt hinabgefahrene Menschen vom Kontakt mit Gott abgeschnitten sind und ihn darum eben nicht mehr preisen können (s. z.B. Ps 6,6; Jes 38,18; Sir 17,27 u.ö.). Das ist meines Wissens aber noch nie vorgeschlagen worden (aber s. HfA: „Kann ein Toter dir noch danken?“; auch die Info der BB: „Gemeint sind die Verstorbenen, die unten im Totenreich in staubtrockener Erde ruhen.“), daher sollte man wohl doch bei der Standard-Übersetzung bleiben. (Zurück zu v.10)
abשׁמע hören ist in der Bibel häufig terminus technicus für die Gebetserhörung; so wohl auch hier. (Zurück zu v.11)
acDa hast du gut nach ; Gerstenberger 1972; GUAR; Schmidt 1934; Zenger 1987; ZÜR: V. 12 schildert die Reaktion Gottes auf den Flehruf des Psalmisten. (Zurück zu v.12)
admeist: „gegürtet“, aber אור kann auch allgemein „Kleiden“ bedeuten, was hier sehr viel besser passt. (Zurück zu v.12)
aezu kausalem לְמַעַן vgl. Fürst 847; Ges18 713; Kön 237. (Zurück zu v.13)
afW.: „Darum will Herrlichkeit dich besingen“; wohl mit double duty-Suffix (->Brachylogie) aus V. 12: „[meine] Herrlichkeit“ (alternativ ergänzen fast alle Exegeten ein Suffix). Spiekermann 1989 entfaltet daraus und aus Ps 8,6 eine ganze Herrlichkeitstheologie: Die „Herrlichkeit“, die eigentlich ein Prädikat Gottes ist, würde quasi hypostatisch auch im Menschen anwesen, und diese göttlich-menschliche Herrlichkeit wäre es hier, die wiederum im Menschen Gott preist. Das ist recht sicher nicht so; in Ps 8,6 wird das Gottesprädikat „Herrlichkeit“ deshalb auf den Menschen angewandt, weil das Thema von Ps 8 gerade die Gottähnlichkeit des Menschen ist. Das ist hier nicht so; man hat also an etwas anderes als an „Herrlichkeit“ zu denken. Viele emendieren deshalb כָבוׂד Herrlichkeit nach כְבֵדִי meine Leber, mein Herz („Meine Leber/mein Herz will dich besingen“ - BHS; Alter 2007; Deissler 1989; Gunkel 1968; Halévy 1895a; Schmidt 1934; Terrien 2003), aber das ist unnötig: כָבוׂד kann auch „Seele“ bedeuten (vgl. ad loc. Craigie 1983; Kittel 1914; Kraus 1961) und fungiert hier ähnlich wie נֶפֶש Seele in V. 4 als Wechselbegriff für den Psalmisten selbst. Übersetze daher „Ich will dich besingen“. (Zurück zu v.13)