Psalm 131: Unterschied zwischen den Versionen

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(b) und (c) sind aber recht unwahrscheinlich: V. 2a berichtet davon, dass der Psalmist „seine Seele“ (s. dort) „beruhigt und besänftigt“ hat; und dies ist wohl darauf zu beziehen, dass er auf seine Stimmung derart Einfluss genommen hat, dass die drei Attribute in V. 1 nun ''nicht mehr'' auf ihn zutreffen (vgl. Botha 1998, S. 528; Deissler 1989, S. 515; Delitzsch 1894, S. 760; Gunkel 1968, S. 563; Schmidt 1934, S. 232 u.a.) - was gleichzeitig ja heißt, dass er früher durchaus derart war. Das sollte man hier dann auch besser mit einer Übersetzung als „nicht ''mehr'' - [Präsens]“ ausdrücklich machen (zu {{hebr}}לׂא{{hebr ende}} als „nicht ''mehr''“ vgl. z.B. [[Genesis 17#s15 |Gen 17,15]] mit [[Genesis 17#s5 |Gen 17,5]]).</ref> anmaßend (hochmütig, hybrid),
 
(b) und (c) sind aber recht unwahrscheinlich: V. 2a berichtet davon, dass der Psalmist „seine Seele“ (s. dort) „beruhigt und besänftigt“ hat; und dies ist wohl darauf zu beziehen, dass er auf seine Stimmung derart Einfluss genommen hat, dass die drei Attribute in V. 1 nun ''nicht mehr'' auf ihn zutreffen (vgl. Botha 1998, S. 528; Deissler 1989, S. 515; Delitzsch 1894, S. 760; Gunkel 1968, S. 563; Schmidt 1934, S. 232 u.a.) - was gleichzeitig ja heißt, dass er früher durchaus derart war. Das sollte man hier dann auch besser mit einer Übersetzung als „nicht ''mehr'' - [Präsens]“ ausdrücklich machen (zu {{hebr}}לׂא{{hebr ende}} als „nicht ''mehr''“ vgl. z.B. [[Genesis 17#s15 |Gen 17,15]] mit [[Genesis 17#s5 |Gen 17,5]]).</ref> anmaßend (hochmütig, hybrid),
 
{und} meine Augen (ich)<ref>„Augen“ sind im hebräischen Sprachgebrauch Spiegel der Empfindungen (vgl. THAT II, S. 264); die „vermessenen Augen“ stehen daher häufiger pars pro toto für den vermessenen Menschen selbst (s. z.B. [[Jesaja 2#s11 |Jes 2,11]]; [[Jesaja 10#s12 |Jes 10,12]]; [[Psalm 18#s28 |Ps 18,28]] u.ö.). Den Sinn trifft BB: „In meinen Augen liegt keine Überheblichkeit“. Übersetze auch hier: „''Ich'' bin nicht mehr...“; so auch HfA, GN.</ref> sind (waren) nicht (nie) [mehr]<ref name="nicht mehr" /> vermessen (stolz, hoffärtig, hoch erhoben)
 
{und} meine Augen (ich)<ref>„Augen“ sind im hebräischen Sprachgebrauch Spiegel der Empfindungen (vgl. THAT II, S. 264); die „vermessenen Augen“ stehen daher häufiger pars pro toto für den vermessenen Menschen selbst (s. z.B. [[Jesaja 2#s11 |Jes 2,11]]; [[Jesaja 10#s12 |Jes 10,12]]; [[Psalm 18#s28 |Ps 18,28]] u.ö.). Den Sinn trifft BB: „In meinen Augen liegt keine Überheblichkeit“. Übersetze auch hier: „''Ich'' bin nicht mehr...“; so auch HfA, GN.</ref> sind (waren) nicht (nie) [mehr]<ref name="nicht mehr" /> vermessen (stolz, hoffärtig, hoch erhoben)
{und} ich gehe (ging) nicht (nie) [mehr]<ref name="nicht mehr" /> nach (gehe um mit, gehe in)<ref>(a) W. „ich gehe nicht in Dingen...“; so listen auch die meisten Lexika. (b) Fast alle Ausleger aber deuten als „umgehen mit“ (vgl. auch KBL3, S. 237; Kön, S. 79; noch Botha 1998, S. 528). (c) Einige Exegeten und Üss. deuten außerdem als „trachten/streben nach“, was zwar fast genau so gut als sekundäre Bedeutung von „gehen“ denkbar wäre, dann aber überhaupt kein Fundament mehr in den gängigen Lexika hätte. So aber Alter 2007; FENZ („Nicht erstrebe ich Ziele, die mir unerreichbar sind“); Gerstenberger 1972 („Ich habe keine großen Wünsche“); GRAIL; Kittel 1914; Kraus 1966; NGÜ; STAD („Ich geh nicht großen Dingen nach“). (a) ist keine Alternative, da sinnlos; von Sinn her passt am Besten (c); am meisten Rückhalt hat (b). Trotz des geringeren Rückhalts würde ich (S.W.) (c) empfehlen.</ref> [für mich zu]<ref>{{hebr}}מִמֶּֽנִּי{{hebr ende}} ''zu ... für mich'' ließe sich (a) nur auf Sticho 1d beziehen, dann „Ich strebe nicht nach großen Zielen / und nach Dingen, die mir zu wunderbar sind“ oder (b) auf Sticho 1c + 1d, dann „Ich strebe nicht nach Zielen, die mir zu groß / und Dingen, die mir zu wunderbar sind.“ (b) liegt hier näher, würde ich (S.W.) sagen. So auch Allen 1983; AOAT; Brueggemann/Bellinger 2014; Christensen 2005; GRAIL; Limburg 2000; Zuber 1986.</ref> großen Zielen (Großem, großen Dingen)<ref>W. „Großem“/„großen Dingen“; „große Ziele“ nach Deissler 1989, S. 514. Ähnlich FENZ: „unerreichbare Ziele“; Gunkel 1968, S. 563: „große Wünsche“; Kraus 1966, S. 874; NGÜ: „hohe Ziele“; GN: „weit gesteckte Ziele“. Zur Wortbedeutung von {{hebr}}גדול{{hebr ende}} gehört das nicht; würde aber impliziert, wenn zuvor für {{hebr}}הלך{{hebr ende}} die Übersetzung „streben“ gewählt wird (s. vorletzte FN).</ref>
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{und} ich gehe (ging) nicht (nie) [mehr]<ref name="nicht mehr" /> nach (gehe um mit, gehe in)<ref>(a) W. „ich gehe nicht in Dingen...“; so listen auch die meisten Lexika. (b) Fast alle Ausleger aber deuten als „umgehen mit“ (vgl. auch KBL3, S. 237; Kön, S. 79; noch Botha 1998, S. 528). (c) Einige Exegeten und Üss. deuten außerdem als „trachten/streben nach“, was zwar fast genau so gut als sekundäre Bedeutung von „gehen“ denkbar wäre, dann aber überhaupt kein Fundament mehr in den gängigen Lexika hätte. So aber Alter 2007; BigS („Ich gehe nicht nach Dingen...“) FENZ („Nicht erstrebe ich Ziele...“); Gerstenberger 1972 („Ich habe keine großen Wünsche“); GRAIL; Kittel 1914; Kraus 1966; NGÜ; STAD („Ich geh nicht großen Dingen nach“). (a) ist keine Alternative, da sinnlos; von Sinn her passt am Besten (c); am meisten Rückhalt hat (b). Trotz des geringeren Rückhalts würde ich (S.W.) (c) empfehlen.</ref> [für mich zu]<ref>{{hebr}}מִמֶּֽנִּי{{hebr ende}} ''zu ... für mich'' ließe sich (a) nur auf Sticho 1d beziehen, dann „Ich strebe nicht nach großen Zielen / und nach Dingen, die mir zu wunderbar sind“ oder (b) auf Sticho 1c + 1d, dann „Ich strebe nicht nach Zielen, die mir zu groß / und Dingen, die mir zu wunderbar sind.“ (b) liegt hier näher, würde ich (S.W.) sagen. So auch Allen 1983; AOAT; Brueggemann/Bellinger 2014; Christensen 2005; GRAIL; Limburg 2000; Zuber 1986.</ref> großen Zielen (Großem, großen Dingen)<ref>W. „Großem“/„großen Dingen“; „große Ziele“ nach Deissler 1989, S. 514. Ähnlich FENZ: „unerreichbare Ziele“; Gunkel 1968, S. 563: „große Wünsche“; Kraus 1966, S. 874; NGÜ: „hohe Ziele“; GN: „weit gesteckte Ziele“. Zur Wortbedeutung von {{hebr}}גדול{{hebr ende}} gehört das nicht; würde aber impliziert, wenn zuvor für {{hebr}}הלך{{hebr ende}} die Übersetzung „streben“ gewählt wird (s. vorletzte FN).</ref>
 
und für mich zu wunderbaren (für mich unmöglichen, zu schwierigen) Dingen.</poem>
 
und für mich zu wunderbaren (für mich unmöglichen, zu schwierigen) Dingen.</poem>
  

Version vom 7. Juli 2014, 15:45 Uhr

Syntax ungeprüft

SF in Arbeit.png
Status: Studienfassung in Arbeit – Einige Verse des Kapitels sind bereits übersetzt. Wer die biblischen Ursprachen beherrscht, ist zum Einstellen weiterer Verse eingeladen. Auf der Diskussionsseite kann die Arbeit am Urtext dokumentiert werden. Dort ist auch Platz für Verbesserungsvorschläge und konstruktive Anmerkungen.
Folgt-später.png
Status: Lesefassung folgt später – Bevor eine Lesefassung erstellt werden kann, muss noch an der Studienfassung gearbeitet werden. Siehe Übersetzungskriterien und Qualitätssicherung Wir bitten um Geduld.

Lesefassung (Psalm 131)

(kommt später)

Studienfassung (Psalm 131)

1 Ein Wallfahrtslied (Stufenlied, Reiselied)a. Von (für, über, nach Art von) David.

JHWHb, mein Herz (ich)c ist (war) nicht (nie) [mehr]d anmaßend (hochmütig, hybrid),
{und} meine Augen (ich)e sind (waren) nicht (nie) [mehr]d vermessen (stolz, hoffärtig, hoch erhoben)
{und} ich gehe (ging) nicht (nie) [mehr]d nach (gehe um mit, gehe in)f [für mich zu]g großen Zielen (Großem, großen Dingen)h
und für mich zu wunderbaren (für mich unmöglichen, zu schwierigen) Dingen.


2 Nein, nicht [mehr]d! Sondern (Gewiss, wenn nicht)i ich habe meine Seele (mich)j besänftigt (beschwichtigt) und beruhigt.
Wie ein entwöhntes Kind (ein Kleinkind, das Kleinkindk) auf (auf [dem Schoß], auf [den Schultern]) seiner Mutter (mir, seiner Mutterk),
Wie ein solchesl entwöhntes Kind (Kleinkind, wie das Kind, das auf mir ist,k) [ist] aufk mir meine Seelek.


3 Warte (hoffe)m [auch du]n, Israel, auf JHWH -
von nun an und für immer!

Anmerkungen

aÜbersetzung unsicher. Die wahrscheinlicheren Deutungen sind diese:

(a) מעלות wird abgeleitet von עלה gehen, reisen; ein שיר המעלות ist dann nach Esra 2,1; 7,9 ein „Reise-“ oder „Heimkehrlied“, das die Israeliten bei ihrer Rückkehr aus dem Exil sangen.
(b) מעלות wird abgeleitet von von מעלה Stufe; ein שיר המעלות ist dann ein Prozessionslied, das gesungen wird, während man die Stufen hinaufzieht, die zum Tempelaltar führen.

(c) מעלות wird abgeleitet von עלה gehen, wallfahren; ein שיר המעלות ist dann ein „Wallfahrtslied“, das während der Prozession zum Jerusalemer Tempel gesungen wird. Dies ist die üblichste und wahrscheinlichste Deutung (z.B. Kraus 1966, S. XXI). (Zurück zu v.1)
bVokativ. JHWH lässt sich hier nicht mit „unser Gott/Herr“ übertragen, weil dies erstens bei einem „individuellen Vertrauenspsalm“ (Hossfeld/Zenger 2008, S. 602) nicht sehr treffend wäre, weil vor allem aber zweitens Vokative sich im Deutschen nicht mit Pronomen konstruieren lassen (so z.B. KAR zu Mt 6,9). Es ist also zu einer anderen Ersatzlösung zu greifen; s. unseren Übersetzungs-FAQ. (Zurück zu v.1)
cW. „Mein Herz ist“, aber das „Herz“ ist in der Bibel häufig Wechselbegriff für das Ich; bes. in Zhgg., in denen dieses Ich als „fühlende, gestimmte Person“ vorgestellt wird (s. z.B. Wolff 1973, S. 74f). Im Deutschen gibt es diese Ausdrucksmöglichkeit nicht; übersetze durchaus: „Ich bin“. So auch HfA, GN. (Zurück zu v.1)
dIn V. 1 folgt dreimal aufeinander die Folge לׂא - Verb (Qatal). Möglich wäre daher je das Verständnis (a) „Ich bin nicht X“, (b) „Ich war nicht X“, (c) „Ich war nie X“.
(b) und (c) sind aber recht unwahrscheinlich: V. 2a berichtet davon, dass der Psalmist „seine Seele“ (s. dort) „beruhigt und besänftigt“ hat; und dies ist wohl darauf zu beziehen, dass er auf seine Stimmung derart Einfluss genommen hat, dass die drei Attribute in V. 1 nun nicht mehr auf ihn zutreffen (vgl. Botha 1998, S. 528; Deissler 1989, S. 515; Delitzsch 1894, S. 760; Gunkel 1968, S. 563; Schmidt 1934, S. 232 u.a.) - was gleichzeitig ja heißt, dass er früher durchaus derart war. Das sollte man hier dann auch besser mit einer Übersetzung als „nicht mehr - [Präsens]“ ausdrücklich machen (zu לׂא als „nicht mehr“ vgl. z.B. Gen 17,15 mit Gen 17,5). (zu v.1 / zu v.2)
e„Augen“ sind im hebräischen Sprachgebrauch Spiegel der Empfindungen (vgl. THAT II, S. 264); die „vermessenen Augen“ stehen daher häufiger pars pro toto für den vermessenen Menschen selbst (s. z.B. Jes 2,11; Jes 10,12; Ps 18,28 u.ö.). Den Sinn trifft BB: „In meinen Augen liegt keine Überheblichkeit“. Übersetze auch hier: „Ich bin nicht mehr...“; so auch HfA, GN. (Zurück zu v.1)
f(a) W. „ich gehe nicht in Dingen...“; so listen auch die meisten Lexika. (b) Fast alle Ausleger aber deuten als „umgehen mit“ (vgl. auch KBL3, S. 237; Kön, S. 79; noch Botha 1998, S. 528). (c) Einige Exegeten und Üss. deuten außerdem als „trachten/streben nach“, was zwar fast genau so gut als sekundäre Bedeutung von „gehen“ denkbar wäre, dann aber überhaupt kein Fundament mehr in den gängigen Lexika hätte. So aber Alter 2007; BigS („Ich gehe nicht nach Dingen...“) FENZ („Nicht erstrebe ich Ziele...“); Gerstenberger 1972 („Ich habe keine großen Wünsche“); GRAIL; Kittel 1914; Kraus 1966; NGÜ; STAD („Ich geh nicht großen Dingen nach“). (a) ist keine Alternative, da sinnlos; von Sinn her passt am Besten (c); am meisten Rückhalt hat (b). Trotz des geringeren Rückhalts würde ich (S.W.) (c) empfehlen. (Zurück zu v.1)
gמִמֶּֽנִּי zu ... für mich ließe sich (a) nur auf Sticho 1d beziehen, dann „Ich strebe nicht nach großen Zielen / und nach Dingen, die mir zu wunderbar sind“ oder (b) auf Sticho 1c + 1d, dann „Ich strebe nicht nach Zielen, die mir zu groß / und Dingen, die mir zu wunderbar sind.“ (b) liegt hier näher, würde ich (S.W.) sagen. So auch Allen 1983; AOAT; Brueggemann/Bellinger 2014; Christensen 2005; GRAIL; Limburg 2000; Zuber 1986. (Zurück zu v.1)
hW. „Großem“/„großen Dingen“; „große Ziele“ nach Deissler 1989, S. 514. Ähnlich FENZ: „unerreichbare Ziele“; Gunkel 1968, S. 563: „große Wünsche“; Kraus 1966, S. 874; NGÜ: „hohe Ziele“; GN: „weit gesteckte Ziele“. Zur Wortbedeutung von גדול gehört das nicht; würde aber impliziert, wenn zuvor für הלך die Übersetzung „streben“ gewählt wird (s. vorletzte FN). (Zurück zu v.1)
i(a) Nein, nicht mehr! Sondern... übersetzt die Konstruktion אם לא (eigentlich: „vielmehr, sondern“). Die Verneinungsreihe „nicht mehr... und nicht mehr... und nicht mehr... Nein, nicht mehr!“ (לא ... ולא ... ולא ... אם לא) erreicht hier ihren Höhepunkt (vgl. Beyerlin 1982, S. 35; Goldingay 2008, s. 536; Hossfeld/Zenger 2008, S. 600); ich (S.W.) habe versucht, dies durch diese parallele Übersetzung nachzubilden. Gut auch de Boer 1966; Labuschagne 2007: „On the contrary!“; Gerstenberger 1972: „Im Gegenteil!“; Terrien 2003: „Far from this!“. (b) Einige Exegeten übersetzen auch sprachlich korrekt mit „Wahrlich, gewiß“, was aber nicht gut zur Sinnlinie des Psalm passt. Bedenkenswerter: (c) Gerstenberger 2001 und schon Stevens 1895 halten V. 2a für die Protasis einer Selbstbedrohung mit unausgedrückter Apodosis („Wenn ich meine Seele nicht beruhigt habe, [dann soll...]). Dennoch, vorzuziehen ist deutlich (a). (Zurück zu v.2)
jEbenso wie das „Herz“ in V. 1 ist die „Seele“ in V. 2 im Hebräischen ein häufiger Wechselbegriff für den Menschen selbst; bes., wenn dieser als „begehrender Mensch“ dargestellt wird (vgl. Wolff 1973, S. 25f.27 („begierige Bedürftigkeit)). Übersetze daher auch hier durchaus „Ich habe...“; so auch NL.
Die Aussage, dass der Psalmist „seine Seele besänftigt und beruhigt“ habe, meint also nicht mehr, als dass er die Oberhand über sein Begehren gelernt hat: Der Psalmist hat Demut und Bescheidenheit gelernt. Vgl. gut Schmidt 1934, S. 232: „Dieses stille Gebet hat ein heißblütiger Mensch geschrieben. Es gab einmal eine Zeit, da war sein Herz voll Unruhe, voll starker Wünsche. Da konnte er kein Glück sehen, das er nicht beneidet und begehrt, da gab es keinen Aufstieg, zu dem er sich nicht stark gefühlt hätte. Das ist nun anders. Er hat sich bescheiden gelernt. Er hat sein Herz „beruhigt“.“ Schön übersetzt Terrien 2003: „Far from this! My desires are moderate and quiet.“ (Zurück zu v.2)
kV. 2 wird in der Exegese stark diskutiert; häufiger als Deutungen vorgeschlagen wurden:
  • (a) „Wie ein Entwöhntes auf seiner Mutter, / wie das Entwöhnte ist meine Seele auf/in mir.“ (die traditionelle Deutung)
  • (b1) „Wie ein Entwöhntes auf seiner Mutter, / wie das Entwöhnte auf mir ist meine Seele“ (die aktuelle Mehrheitsmeinung*)
  • (b2) „Wie ein Entwöhntes auf mir, seiner Mutter, / wie das Entwöhnte auf mir ist meine Seele“ (Knowles 2006)
  • (b3) „Wie das Entwöhnte auf mir, seiner Mutter, / wie das Entwöhnte auf mir ist meine Seele“ (Strawn 2012)
  • (c) „Wie ein entwöhntes Kind auf seiner Mutter, so ist entwöhnt meine Seele“ (ALB; ; Gunkel 1968; H-R; Kittel 1914; Kraus 1966; MEN; Mowinckel 1921; MÜN; NGÜ; PAT; Schmidt 1934; STAD; TAF; Weiser 1987; ähnlich Kissane 1954)
  • (d) „Wie ein entwöhntes Kind auf seiner Mutter, wie ein entwöhntes Kind auf JHWH ist meine Seele“ (Herkenne 1936; vgl. auch Zorell 1928; ähnlich Dahood 1970)

Für weitere Sondermeinungen mit nicht mehr als einem oder zwei Vertretern siehe Beyerlin 1982; Briggs 1907; Buttenwieser 1938; de Boer 1966; Ehrlich 1905; Goldingay 2008; Robinson 1998.
Ich (S.W.) denke, man muss sich hier entgegen der aktuellen Mehrheitsmeinung (b) der traditionellen Deutung (a) anschließen:
Die Vorstellung hinter Deutung (b) ist diese: Der Psalmist ist eine Frau, die mit ihrem Kind auf den Schultern (für eine grafische Darstellung s. Labuschagne 2012, S. 3; noch ANEP, Nr. 49; Hossfeld/Zenger 2008, S. 607) an der Prozession nach Jerusalem teilnimmt und ihren geistigen Zustand mit dem Kind auf ihren Schultern vergleicht. Das halte ich für eher unwahrscheinlich. Als Argumente für diese Deutung werden i.d.R. angeführt (1) die parallele Wortfolge von 2c und 2d und (2) die Tatsache, dass in 2cd ein „sich steigernder Doppelvergleich“ vorliegt. Das greift nicht: (1) Die Wortfolge in 2c und 2d ist sowohl bei Deutung (a) als auch bei Deutung (b1-3) parallel (Im Hebräischen heißt es ja nach wie vor „Wie ein Kind auf seiner Mutter, / wie das Kind auf mir meine Seele“; die Hinzufügung von „ist“ ist ja nur im Deutschen nötig und darf deshalb bei der Beurteilung der Parallelität nicht berücksichtigt werden.) Außerdem ist „exakter Parallelismus“ ein Argument, das sich spätestens seit Barr 1987 nicht mehr gut anwenden lässt (so ad loc. auch Strawn 2012, S. 423-25). (2) Und ein „Doppelvergleich“ ist ebenso Deutung (a); dass es ein „sich steigernder Doppelvergleich“ sei, ergäbe sich nur für Deutung (b) und nicht einmal dort wirklich (die Determination eines Satzgliedes ist doch wohl keine „Steigerung“). (3) Vor allem aber scheint mir schwer glaublich, dass gerade für diese Sammlung - die, egal wie „Wallfahrtslied“ nun genau gedeutet werden muss (s. FN a), auf jeden Fall von vielen Pilgern singbar sein muss - ein Psalm gedichtet worden sei, der nur für einen so geringen Bruchteil der Pilger singbar wäre - nämlich nur für Pilger, die (1) Kinder dabei haben, deren Kinder (2) gerade auf ihren Schultern sitzen und deren Kinder (3) gerade zufällig mal zufrieden sind - oder, noch seltener: gerade gestillt, oder, noch seltener: gerade entwöhnt wurden (so auch Robinson 1998, S. 189).
Ich würde daher doch meinen, dass man sich hier besser Deutung (a) anzuschließen hat, die durchaus nicht so problematisch ist, wie das Vertreter von Deutung (b) gern darstellen: נפש meint, wie gesagt, häufig die Empfindungen eines Menschen, bes. dessen Begehren (THAT II, S. 75-80; Wolff 1973, S. 33). Und die Präposition על gibt ja nicht nur lokative Relationen an, sondern kann z.B. (oft) auch angeben, dass solche Empfindungen „auf einem“ sind, d.h. von jemandem empfunden werden (s. z.B. Ges18, S. 963). „Wie ein entwöhntes Kind ist meine Seele auf mir“ meint also einfach „Ich fühle mich im Hinblick auf mein Begehren wie ein entwöhntes Kind“, also „Ich habe Selbstbescheidung gelernt“. So wohl auch Terrien 2003: „My desires are like those of an infant“. Das ist ja auch die Bedeutung, die Vertreter von Deutung (b) aus dem Satz herauslesen; Deutung (a) hat aber nicht die obige Schwierigkeit (3) und ist daher wohl doch vorzuziehen.
Gelegentlich wurde eingewandt, dass dann aber ja die Präposition על in beiden Stichos unterschiedlich verwendet würde. Dabei steht im ersten Sticho gar nicht על, sondern עֲלֵי, eine poetische Nebenform von על - im zweiten Sticho dagegen wird „gewöhnliches“ על verwendet. Eine unterschiedliche Verwendung wäre nicht etwa problematisch, sondern würde diese beiden unterschiedlichen Formen überhaupt erst erklären.
Deutung (c) basiert auf einer Emendierung: das zweite כגמל wird emendiert zu תגמל; Deutung (d) versteht das Jod in עָלַי als Abkürzung von JHWH (Herkenne 1936; vgl. auch Zorell 1928; ähnlich Dahood 1970). Das ist unnötig.

* Hossfeld/Zenger 2008, S. 599 geben diese Deutung noch als Minderheitenmeinung aus; aber mittlerweile wird sie vertreten von Allen 1983; BB; Brueggemann/Bellinger 2014; Christensen 2005; Crow 1996; Hossfeld/Zenger 2008; Labuschagne 2007; Labuschagne 2012; Limburg 2000; Miller 1993; Prias 2011; Quell 1967; Seybold 1978; Trebolle Barrera 1999; Zenger 2006 - bei dieser Vielzahl an Exegeten wird man sie wohl als die aktuelle Mehrheitsmeinung werten müssen.

(zu v.2)
lW. wie das entwöhnte Kind; das Substantiv ist hier aber wohl nur determiniert, weil schon einmal auf es Bezug genommen wurde (vgl. z.B. AC §2.6.1); es fungiert hier ähnlich wie ein Demonstrativpronomen (vgl. IBHS 13.5a); übersetze „ein solches Kind“. (Zurück zu v.2)
m„auf Gott warten“ = hebräisches Idiom für „auf ein künftiges Heilshandeln Gottes hoffen/vertrauen“ (THAT I, S. 728f). Hier wirkt es zusammen mit den Verben aus V. 2; gut daher Botha 1998, S. 529: „geduldig sein“, „seine Ungeduld zügeln“; GN, GNT, GUAR, HfA: „vertraue dem Herrn“; Zink: „Verlaß dich auf den Herrn“. (Zurück zu v.3)
nDer Zhg. von V. 2 und V. 3 ist wohl der, dass die demütige Selbstbescheidung des Psalmisten auch Israel anempfohlen wird (so z.B. auch Alter 2007; Botha 1998). Sehr gut daher BB: „So soll auch Israel auf den HERRN warten“ (Zurück zu v.3)